Plötzlich ist alles wieder anders. Die Grünen macht rechtsumkehrt. Mehrere Mitglieder sagten zu Blick, dass sie nicht dazu tendieren, im Dezember nicht zu den Bundesratswahlen anzutreten.
Noch am Wahlsonntagabend erklärte Fraktionschefin Aline Trede gegenüber der Nachrichtenagentur SDA, «ja, die Tendenz ist, dass wir kandidieren». Und das, obwohl die Grünen fünf Sitze verloren und beim Wähleranteil fast vier Prozentpunkte eingebüsst hatten. In den anderen Parteien sprach man von «Realitätsverlust».
Offenbar unter dem Eindruck des breiten Unverständnisses über das Vorhaben, für Mitte Dezember eine eigene Bundesratskandidatin oder einen eigenen Bundesratskandidaten zu präsentieren, kommt es in der grünen Partei nun zu einem Sinneswandel.
«Völlig falsch»
Schliesslich wurden auch innerhalb der Partei Stimmen laut, man könne jetzt doch nicht zu den Bundesratswahlen antreten: «Es wäre zum jetzigen Zeitpunkt völlig falsch zu versuchen, der SP einen Bundesratssitz wegzunehmen.» So schwäche man sich nur selbst, sagt der frühere Grünen-Präsident Ueli Leuenberger (71) zu Blick. «Im Gegenteil: Die Grünen müssen sich nun mit der SP zusammensetzen und eine gemeinsame Strategie für die nächste Legislatur festlegen.»
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Leuenberger war längst nicht das einzige Parteimitglied, das sich gegenüber Blick gegen eine Kandidatur aussprach. Doch im Verlauf des Montagnachmittags wollte sonst plötzlich niemand mehr mit Namen hinstehen.
Imboden kritisch
Vorsichtig kritisch hatte sich Natalie Imboden (53) geäussert, die ihre Wiederwahl als Nationalrätin am Sonntag verpasste. Laut ihr müssen die Grünen über die Bücher. Mit dieser Ansicht steht sie nicht allein. Auch die Aargauer Nationalrätin Irène Kälin (36) erklärt gegenüber dem «Tages-Anzeiger», die Fraktion müsse intern über die Bücher und analysieren, «ob wir richtig aufgestellt sind und ob wir zu einseitig auf das Klimathema gesetzt haben». Andere wollen sich mit dieser Aussage nicht namentlich zitiert sehen.
Konkret wird hingegen Ex-Präsident Leuenberger: «Die gesamte Partei muss wieder näher an die Leute. Auf den sozialen Medien Lärm zu machen, reicht nicht.» Er schränkt jedoch ein: «So klar die Niederlage der Grünen am Sonntag war: Sie haben das zweitbeste Resultat ihrer Geschichte erzielt!» Rücktritte zu fordern, sei falsch.
Das sehen aber nicht alle so. Dennoch soll am Freitag – anders als anfänglich angekündigt – auch die personelle Zusammensetzung des Parteipräsidiums laut Trede kein Thema mehr sein.
Neben dem Team müsse auch der Trainer hinterfragt werden, hatte ein Fraktionsmitglied Blick gesagt. Plötzlich wollte das Mitglied auch zu dieser Aussage nicht mehr mit Namen hinstehen. Die Grünen versuchen nun offenbar, die Reihen zu schliessen und stellen sich vor ihren Chef Balthasar Glättli (51). Man ist im Krisenmodus. Glättli selbst ist auf Tauchstation und war für Blick nicht erreichbar.
«Jetzt das Präsidium infrage zu stellen, bringt nichts», sagt auch Fraktionschefin Aline Trede. Das Resultat vom Sonntag könne man nicht nur einer Person zuschreiben. «Das Klimathema hat weniger mobilisiert», will die Fraktionschefin die Präsidentendiskussion im Keim ersticken.
Ryser soll ran
Dennoch wird in der Partei halblaut darüber nachgedacht: Wer könnte das Präsidium an Glättlis Stelle übernehmen? Die Grünen haben nicht (mehr) viele Personen, denen das Amt zugetraut wird. Ein Name fällt aber mehrfach: Franziska Ryser (32). Schliesslich konnte sie am Sonntag in St. Gallen ein sehr gutes Wahlresultat einfahren.
Zwar spielen die Gewählten der St. Galler SVP in einer eigenen Liga, doch die Nationalrätin kommt auf keine 500 Stimmen weniger als Bauernpräsident Markus Ritter (56). Alle anderen im Kanton lässt Ryser hinter sich. «Sie kann das», ist man von ihr überzeugt, obwohl Ryser erst vier Jahre in Bundesbern tätig ist. Doch in den wenigen Jahren hat sie es nicht nur zur Vizepräsidentin der Grünen gebracht, sie amtet auch in der PUK zur Zwangsübernahme der Credit Suisse als Vizechefin.
Im «Tages-Anzeiger» hinterfragt auch Nationalrätin Kälin die Parteispitze: «Balthasar Glättli ist ein genialer Analytiker und Denker, aber nicht der beste Wahlkämpfer und nicht der repräsentative Präsident einer Partei, die nach wie vor bunter, jünger und weiblicher ist.» Sie scheint sich sogar vorstellen zu können, selber in die Hosen zu steigen. «Das ist kein Gedanke, den ich mir nicht machen würde», sagt sie. Dabei würde ihr aber ein Co-Präsidium vorschweben, «in dem beide grossen Sprachregionen vertreten sind».
Zugetraut wird das Amt auch dem Glarner Ständerat Mathias Zopfi (39). Eine andere Person hält auch Manuela Weichelt (56) für jemanden, «die Grünen-Präsidentin könnte». Aber eben, genau diese Diskussion wollen die Grünen nicht führen, sondern lieber in Deckung gehen – und dann halt auch nicht bei den Bundesratswahlen antreten.