Die Sommerferien machen den Impfplänen des Bundesrats einen Strich durch die Rechnung. In den Kantonen herrscht Impfflaute. Gemäss neuster Piks-Statistik des Bundesamt für Gesundheit (BAG) sind bisher erst 4,5 Millionen Menschen mindestens einmal geimpft.
Dabei hatte SP-Gesundheitsminister Alain Berset (49) einst ganz andere Erwartungen. Einen Impfboom mit rund 100'000 Impfungen täglich ab April. Oder im schlechteren Fall wenigstens 50'000 Impfungen täglich. Bis Ende Juni sollten 75 Prozent der erwachsenen Bevölkerung, also 5,25 Millionen Personen, geimpft sein – so hoffte Berset im März. Das zeigt ein damaliges Aussprachepapier zuhanden des Bundesrats, das Blick vorliegt.
Das Schneckentempo beim Impfen trieb Berset damals um. Es war mit ein Grund, weshalb der zweite Öffnungschritt im März massiv reduziert wurde. «Der Verimpfungsstand ist zu gering, um einen starken Anstieg der Hospitalisationen und Todesfällen zu vermeiden», argumentierte der SP-Magistrat später in seinem Lockerungsverzichts-Antrag an die Kollegen.
Berset warnt vor Erkrankungswelle
Mittlerweile ist der fünfte Öffnungsschritt erfolgt, und nächsten Monat könnte die Normalisierungphase eingeläutet werden. Berset warnt wegen der zunehmend dominierenden Delta-Variante bereits vor einer vierten Welle bei Ungeimpften.
Interessanterweise tönte es bereits im Frühjahr ganz ähnlich. «Nach Abschluss der Durchimpfung der Impfwilligen wird es mutmasslich eine rasche Erkrankungswelle bei den Impfunwilligen geben, wenn die Massnahmen vollständig gelockert werden», prognostiziert Berset in seinem März-Papier. «Dies ist mit einer substanziellen Zahl von zusätzlichen Krankheits- und Todesfällen verbunden, weil die Zirkulation des Virus in der Schweiz auch bei einer hohen Durchimpfungsrate nicht unterbunden werden kann.»
Aufgrund der geografischen Lage sowie der internationalen Ausrichtung der Schweiz ging er schon damals davon aus, dass «die gesamte Bevölkerung mit dem Virus in Kontakt kommen wird». Je grösser der Anteil nicht geimpfter Personen sei, desto zahlreicher dürften auch die dann noch eintretenden Todesfälle sein. «Dies selbst bei einer sehr hohen Impfbereitschaft.»
Bloss sprach Berset damals von der britischen Alpha-Variante, von der ansteckenderen indischen Delta-Mutation war da noch längst keine Rede. Trotzdem gilt jetzt wie damals die Devise: «Diese Krankheitsfälle können längerfristig nicht verhindert werden, es sei denn, diese Personen lassen sich doch noch zur Impfung motivieren.»
Einschränkungen «nicht mehr zu rechtfertigen»
Was damals schon galt, gilt heute noch mehr: Wer geimpft ist, mag sich je länger je weniger wegen Impfverweigerern einschränken lassen. Oder in Bersets Worten: «Je mehr Leute geimpft sind, desto geringer dürfte das Verständnis für Massnahmen und die Bereitschaft für die Umsetzung dieser Massnahmen sein.»
Heisst: Sobald alle Impfwilligen geimpft sind, soll vollends gelockert werden. Starke gesellschaftliche und wirtschaftliche Einschränkungen seien dann «nicht mehr zu rechtfertigen», so das Innendepartement bereits im März. Neue Massnahmen kämen nur in Frage, wenn neue Mutationen auftreten würden, welche die Wirksamkeit der Impfungen stark reduzieren könnten.
Ansonsten sei einzig noch die Beibehaltung der Basismassnahmen wie Masken, Hygiene und Abstand – allenfalls auch längerfristig – denkbar, um die Krankheitsfälle «zumindest über einen grösseren Zeitraum zu verteilen». Es werde zwar schwierig bleiben, die Fallzahlen tief zu halten, aber: Mit fortschreitender Zeit – wenn die Risikogruppen geimpft sind – könnten höhere Fallzahlen toleriert werden, «ohne dass die Belastung des Gesundheitswesens in gleichem Ausmass zunimmt».
Fragt sich bloss, ob dieser Zeitpunkt erreicht wird. Denn aktuell sind zwar in der Risikogruppe der über 70-Jährigen gut 80 Prozent geimpft – doch der Rest der ungeimpften Senioren macht immer rund 200'000 Personen aus. Weshalb auch Taskforce-Chef Martin Ackermann jüngst mahnte: «Wir sind noch nicht ganz aus der Gefahrenzone.»