«Impfverweigerer diskriminieren»
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Verhaltensforscher fordert:«Impfverweigerer diskriminieren»

So erhöhen wir laut Verhaltensökonom Gerhard Fehr (50) die Impfquote
«Systematische Diskriminierung ist nichts neues»

Die Impfbereitschaft lahmt und mit der Delta-Variante droht ein Herbst mit strengeren Massnahmen. Wie bringt man Menschen zum Piks, die sich noch nicht geimpft haben? Verhaltensökonom Gerhard Fehr (50) hält systematische Diskriminierung für eine Möglichkeit.
Publiziert: 06.07.2021 um 01:39 Uhr
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Aktualisiert: 09.07.2021 um 08:51 Uhr
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Die Impfzentren leeren sich langsam.
Foto: Keystone
Interview: Rachel Hämmerli

Wie lenkt man Menschen in eine gewünschte Richtung? Mit dieser Frage beschäftigt sich Verhaltensökonom Gerhard Fehr (50) jeden Tag. Die derzeit drängendste Frage ist in der Schweiz: Wie kann das Bundesamt für Gesundheit (BAG) einen grösseren Teil der Bevölkerung zum Impfen motivieren? Dafür gibt es verschiedene Methoden – und jetzt braucht es wohl einschneidendere –, wie Experte Fehr im Interview klarmacht.

Blick: Die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ist noch nicht geimpft. Viele wollen sich gar nicht piksen lassen. Genügt die heutige Impfkampagne noch, um klar mehr Menschen zu impfen?
Gerhard Fehr: Sie war wichtig, um die jetzige Impfquote zu erreichen. Laut unseren Prognosen schaffen wir es mit der aktuellen Kampagne nicht, über eine Impfquote von 60 Prozent hinauszukommen. Wenn wir den Epidemiologen Glauben schenken, müssen wir aber über eine Impfquote von 60 Prozent kommen. Die Delta-Variante wird das Gesundheitssystem erneut an seine Grenzen bringen.

Dann macht die heutige Kampagne keinen Sinn mehr?
Doch, das BAG muss die Leute weiterhin motivieren. Nur die Botschaft muss sich ändern. Man müsste jetzt aufzeigen, was passiert, wenn man sich nicht impfen lässt. Aber ohne Angstmacherei.

Wie stellen Sie sich das vor?
Niemand würde in ein Flugzeug steigen, wenn das Absturzrisiko bei einem halben Prozent läge. Aber alle Nichtgeimpften sind derzeit bereit, an einem Virus zu erkranken, an dem sie mit 0,5-prozentiger Wahrscheinlichkeit sterben werden. Das sollte man aufzeigen. Zudem müsste man die Risiken mehr in den Vordergrund rücken. Eine Covid-Erkrankung ist schlimmer als die schlimmsten Nebenwirkungen der Impfung. Diejenigen, die sich nicht impfen lassen, unterschätzen die Folgen einer Ansteckung. Das müsste man kommunizieren.

Also mehr Aufklärung betreiben?
Ja, aber ohne Angst zu machen. In etwa so, wie wir das auch bei Tabakprodukten machen. Mit der Kommunikation alleine werden wir aber noch keine Verhaltensänderung erzielen.

Was müsste denn noch geschehen?
Das BAG muss eine strengere Impfempfehlung aussprechen. Diese kann verschieden aussehen. Das Wirkungsvollste wäre, dass man Ungeimpften einen Impftermin zuschickt, so dass sie diesen Termin wahrnehmen oder verstreichen lassen können. Sie müssten sich aber aktiv abmelden, wenn sie nicht hingehen wollen.

«Wir überzeugen nur mit Diskriminierung»
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Wie zur höheren Impfquote?«Wir überzeugen nur mit Diskriminierung»

Aber dann können sie den Termin auch einfach schwänzen.
Zusätzlich könnte man noch eine Busse verlangen, wenn man sich nicht abmeldet. Schickt man den Leuten Impftermine zu, erhöht dies die Impfquote um bis zu 20 Prozent. Dann wird es aber immer noch gut 35 Prozent geben, die sich partout nicht impfen lassen wollen.

Was macht man denn mit diesen 35 Prozent?

Das sagt der Verhaltensökonom Gerhard Fehr (50).

Der im österreichischen Vorarlberg geborene Gerhard Fehr (50) hat mit seinem älteren Bruder Ernst (65) das Unternehmen Fehr Advice & Partners AG gegründet. Er hilft seinen Auftraggebern aus Wirtschaft und Politik, Menschen in die gewünschte Richtung zu lenken – ihnen quasi einen Anstupser zu geben, damit sie einen bestimmten Weg einschlagen. Und ja, bei Bruder Ernst Fehr handelt es sich um den bekannten Wirtschaftswissenschaftler.

Ein Stupser vom Fach
Fehradvice

Der im österreichischen Vorarlberg geborene Gerhard Fehr (50) hat mit seinem älteren Bruder Ernst (65) das Unternehmen Fehr Advice & Partners AG gegründet. Er hilft seinen Auftraggebern aus Wirtschaft und Politik, Menschen in die gewünschte Richtung zu lenken – ihnen quasi einen Anstupser zu geben, damit sie einen bestimmten Weg einschlagen. Und ja, bei Bruder Ernst Fehr handelt es sich um den bekannten Wirtschaftswissenschaftler.

Diese kriegt man nur, wenn wir systematisch Vorteile für Personen schaffen, die geimpft, getestet oder genesen sind, also würden nur mehr diejenigen ins Restaurant oder in ein Konzert gehen dürfen, welche die 3G-Regel erfüllen. Systematische Diskriminierung ist nichts Neues, sie begegnet uns dauernd im Alltag. Beispielsweise können sich die meisten Leute nicht jeden Tag einen Restaurantbesuch leisten und sind dementsprechend wegen ihres Lohns davon ausgeschlossen.

Ist das wirklich notwendig?
Es wäre natürlich viel wünschenswerter, wenn sich mehr Leute freiwillig impfen lassen. Aber die Freiwilligkeit ist langsam ausgeschöpft. Sicher werden sich im Herbst noch mehr Leute impfen lassen, sobald die Sterberate wegen der Delta-Variante höher wird. Denn dann steigt auch das Risikobewusstsein der Leute wieder. Aber das wird nicht ausreichen. Wir brauchen einen hohen Impfschutz, um Corona langfristig zu überstehen. Und systematische Vorteile für Geimpfte sind das letzte Mittel vor einem Impfobligatorium. Am Ende werden wir nicht drumherum kommen, die gesellschaftspolitische Debatte über diese Art der Diskriminierung zu führen, um auf die erforderliche Impfquote von ca. 80 Prozent zu kommen.

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Würden die Leute da nicht rebellieren?
Die Frage ist vielmehr: Darf eine Minderheit für sich in Anspruch nehmen, volle Freiheitsrechte zu geniessen, auf Kosten der geimpften Mehrheit? Nein, der Grossteil der Bevölkerung will sich nicht mehr einschränken lassen. Geimpfte fragen sich langsam, warum sie die Corona-Massnahmen noch einhalten sollen. Wir müssen uns der Frage stellen, welche Konsequenzen es haben muss, wenn eine grosse Minderheit die Impfung verweigert. Wir würden es schliesslich auch nicht akzeptieren, wenn 25 Prozent der Bevölkerung die Steuern nicht zahlen würden.

Glauben Sie wirklich, dass sich so auch renitente Impfskeptiker impfen lassen?
Nein, aber wir hätten keine Einschränkungen mehr für Geimpfte!

Können Belohnungen nicht auch helfen – wie zum Beispiel ein Gutschein für alle, die sich impfen lassen?
Nicht wirklich. Solche Belohnungen haben nur einen sehr kleinen Effekt auf die Impfquote. Leute, die wirklich nicht wollen, kann man kaum mit kommerziellen Anreizen umstimmen. Es würde höchstens Impfwillige dazu bringen, sich schneller impfen zu lassen.

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