Restaurantbesitzer wartet vergebens auf Unterstützung
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Beizer ist verzweifelt:Restaurantbesitzer wartet vergebens auf Unterstützung

Beizer am Ende
«Sie lassen uns fallen, ohne mit der Wimper zu zucken»

Viele Wirte stehen am Abgrund: Sie müssen weiterhin Rechnungen bezahlen, obwohl kein Geld mehr reinkommt. Nun will der Bund beim Hilfsprogramm nachbessern.
Publiziert: 10.01.2021 um 00:57 Uhr
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Aktualisiert: 29.01.2021 um 17:54 Uhr
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Das Restaurant ist geschlossen, einzig der Take-away ist weiterhin in Betrieb. Geld verdient Focacceria-Inhaber Florian Reiser damit allerdings kaum.
Foto: Thomas Meier
Camilla Alabor und Simon Marti

Jeden Tag, an dem er arbeitet, verliert Florian Reiser (45) ­einen Haufen Geld. Aufgeben mag er trotzdem nicht, noch nicht. Doch seine Motivation, weiterzumachen, nimmt mit jeder Rechnung ab, die ins Haus flattert. ­Reiser ist Inhaber von sechs ­Gastrobetrieben in St.Gallen und Umgebung. Seine Focacceria-Beizen sind allesamt geschlossen; einzig der Take-away-Betrieb läuft auf kleiner Flamme weiter. Von der Politik fühlt sich Reiser im Stich gelassen. Nachdem die Gastrobranche das ganze Jahr über unter behördlichen Einschränkungen gelitten hatte, ordnete der Bundesrat am 18. Dezember die Schliessung aller ­Betriebe an. Das ist über drei Wochen her – doch von einem Hilfspaket für die arg gebeutelte Branche fehlt weiterhin jede Spur.

Verantwortlich dafür ist einerseits das Parlament, genauer: der Ständerat. Dessen bürgerliche Mehrheit lehnte noch während der Wintersession eine Branchenlösung ab. Doch auch der Bundesrat hat nach dem ständerät­lichen Njet keine neue Lösung präsentiert und die Beizer vergangenen Mittwoch einmal mehr vertröstet.

Das Problem: Viele Gastro­betriebe stehen schon heute am finanziellen Abgrund, denn gewisse Kosten fallen weiterhin an. «Selbst mit Kurzarbeit habe ich ­jeden Monat Ausgaben von rund 80'000 Franken», rechnet Florian Reiser vor. Der St. Galler wartet noch immer auf die Auszahlung der Kurzarbeitsentschädigung für den Dezember; gleichzeitig muss er Monat für Monat die Saläre ­seiner 60 Angestellten vorschiessen, die Heizkosten bezahlen und Rechnungen begleichen. All dies in einer Situation, in der praktisch kein Geld mehr reinkommt.

Reiser ist mit seiner Situation nicht allein. Das hat eine Um­frage von Gastrosuisse ergeben, deren Resultate SonntagsBlick vorliegen. Zwei Drittel aller befragten Betriebe leiden unter Liquiditätsproblemen. Sollten sie jetzt kein Geld erhalten, droht fast der Hälfte der Betriebe das Aus – ohne rasche Hilfe werden sie ­spätestens im März ihre Türen für immer schliessen müssen. Ins­gesamt geben 98 Prozent der befragten Wirte an, finanzielle Hilfe zu benötigen. Paradoxerweise stellt das Härtefall-Paket, welches das Parlament im Dezember absegnete, für viele Beizer keine Hilfe dar.

So profitiert in St. Gallen nur, wer eine Umsatzeinbusse von über 40 Prozent erlitten hat; in Zürich liegt der Wert gar bei 50 Prozent (wobei das Härtefall-Geld im grössten Kanton erst ab März fliesst). Für viele Restaurants ist diese Schwelle viel zu hoch, so auch für Focacceria-Inhaber Reiser. Überhaupt sei dieser Ansatz der falsche Weg, kritisiert Reiser: «Wer 2020 versucht hat, die Umsatzeinbussen so tief wie möglich zu halten, wird jetzt dafür bestraft. Das ist völlig absurd.» Kommt hinzu, dass die Hilfen in manchen Kantonen erst ab März fliessen.

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Ausfallentschädigung statt Kurzarbeit

Doch Reisers Kritik gilt nicht nur dem Hilfspaket, sondern der Politik an sich. Diese habe verkannt, dass die Kurzarbeitsentschädigung für die Gastrobranche das falsche Instrument sei. Ein Restaurant könne nicht einfach die Hälfte des Personals arbeiten lassen, wenn nur die Hälfte der Gäste auftauche. «Den Koch kann ich nicht halbieren», sagt Reiser. «Stattdessen bräuchten wir Ausfallentschädigungen, wie das in der Kulturbranche der Fall ist – und wie das Deutschland und Österreich für ihre Gastro­betriebe umgesetzt haben.»

Dass man die Gastrobranche nun einfach im Regen stehen ­lasse, findet Reiser «eine absolute Frechheit». Er zahle jedes Jahr Hunderttausende Franken an Steuern, beschäftige 90 Angestellte, habe während 16 Jahren ein erfolgreiches Geschäft aufgebaut. «Wir waren jahrelang eine Milchkuh für den Staat. Jetzt lässt man uns fallen, ohne mit der Wimper zu zucken.» Das sei nicht nur unverständlich, sondern auch dumm, findet Reiser. «Wenn selbst kerngesunde Betriebe wie der unsrige in den Konkurs getrieben werden, fallen Tausende von Arbeitsplätzen weg.»

Vielerorts ist genau das bereits passiert, wie die Umfrage von Gastrosuisse zeigt. Auf die erste Kün­digungswelle nach dem Lockdown im Frühling folgte eine zweite im November und Dezember; mehr als ein Drittel aller ­Betriebe musste im letzten Jahr Mitarbeiter entlassen. «Wenn der Bund jetzt nicht handelt, steht eine dritte Kündigungswelle an», warnt Casimir Platzer, Präsident von Gastro­suisse.

Wie genau der Bundesrat den Beizern helfen will, entscheidet sich am Mittwoch.

Recherchen zeigen, dass am Prinzip der Härtefall-Regel nicht gerüttelt wird. Grob vereinfacht heisst dies: Die Kantone prüfen Gesuche der Unternehmen, die am stärksten gebeutelt wurden. Wer als Härtefall eingestuft wird, erhält einen À-fonds-perdu-­Betrag oder ein Darlehen.

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Anspruch erst ab Mitte Februar

Allerdings dürfte das Finanz­departement von Bundesrat Ueli Maurer (70, SVP) vorschlagen, dass Betriebe, die ab November 60 Tage geschlossen sind, künftig generell als Härtefälle gelten. Restaurants, aber auch Fitnesscenter hätten demnach ab Mitte Februar Anspruch auf Entschä­digung. Egal, wie hoch ihre Verluste ausfallen.

Eine andere Neuerung soll Branchen helfen, die nicht direkt von Schliessungen be­troffen sind. Dort gilt gemäss Vorgabe des Bundes als Härtefall, wer 2020 mindestens 40 Prozent seines Umsatzes ­eingebüsst hat. Eine Senkung dieser Schwelle scheint wohl vom Tisch.

Grundsätzlich können Härtefälle auf höhere À-fonds-perdu-Beiträge hoffen: Erhalten sie bislang maximal 10 Prozent des durchschnittlichen Umsatzes der Jahre 2018 und 2019, soll dieser Betrag auf bis zu 20 Prozent steigen, wenn ein Betrieb hohe Fixkosten ­geltend machen kann.

Schlägt die Landesregierung diesen Weg tatsächlich ein, ist ihr die Kritik von links sicher. «Es ist offensichtlich, dass wir ein neues System brauchen, Grüne und SP verlagen schon lange, dass die ungedeckten Fixkosten der Unternehmen im Lockdown vom Bund übernommen werden», sagt die Grünen-Nationalrätin Regula Rytz (58, BE). Zentral sei, dass alle ­Unternehmen, die direkt oder indirekt von staatlichen Ver­boten betroffen sind, substan­ziell und rasch unterstützt würden. «Wir müssen endlich davon wegkommen, 26 verschiedene Vollzugsregimes in den Kantonen aufrechtzuerhalten. Die Hürden für Betriebe in Not bleiben sonst viel zu hoch», so Rytz.

Bankrott oder lebenslange Verschuldung

Entscheidend wird sein, ob das Geld in den kommenden Wochen bei den Beizern rechtzeitig ankommt. Die Verzweiflung, die unter Gastronomen herrscht, ist weiterhin gross.

Stellvertretend für viele sagt Christian Langenegger (38), Inhaber der International Beer Bar in Zürich: «Wir haben die Wahl: Entweder wir machen dicht und gehen bankrott – oder wir verschulden uns ein Leben lang.» Denn einen Kredit von 100'000 Franken ab­zuzahlen, daure gut und gerne zehn Jahre. «In der Finanz­krise ist die Politik den Banken zu Hilfe geeilt», fügt Langenegger bitter an. «Aber jetzt, wo die Leute in ihrer Existenz bedroht sind, lässt man sie hängen.»

Der Zürcher hat auch von Barbesitzern gehört, die ihren Betrieb über die letzten Wochen hinweg heimlich offen ­gelassen haben. Nicht, weil sie rebellieren wollen. Sondern weil ihre Angst vor einem Konkurs grösser ist als jene vor ­einer Strafzahlung.

Kurzarbeit und Härtefall

Mit dem Lockdown im Frühling beschloss der Bund erste Massnahmen zur Stützung der Wirtschaft: Zum einen zinslose Überbrückungskredite, vergeben von den Haus­banken betroffener Unternehmen, zum anderen eine Ausweitung der Kurz­arbeit. Seit Herbst beschränkt sich die Unter­stützung auf Härtefälle: Mit bis zu 2,5 Mil­liarden Franken sollen ­Firmen ­unterstützt werden, deren Umsatz um mindestens 40 Prozent zurück­gegangen ist. Die Linke, aber auch die Gastrobranche, drängen auf À-fonds-­perdu-Beiträge für ­besonders stark be­troffene Wirtschaftszweige.

Mit dem Lockdown im Frühling beschloss der Bund erste Massnahmen zur Stützung der Wirtschaft: Zum einen zinslose Überbrückungskredite, vergeben von den Haus­banken betroffener Unternehmen, zum anderen eine Ausweitung der Kurz­arbeit. Seit Herbst beschränkt sich die Unter­stützung auf Härtefälle: Mit bis zu 2,5 Mil­liarden Franken sollen ­Firmen ­unterstützt werden, deren Umsatz um mindestens 40 Prozent zurück­gegangen ist. Die Linke, aber auch die Gastrobranche, drängen auf À-fonds-­perdu-Beiträge für ­besonders stark be­troffene Wirtschaftszweige.

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