Auf einen Blick
- Bundesrat lässt sich über Verhandlungen mit der EU informieren
- Personenfreizügigkeit und öffentlicher Verkehr als Streitpunkte
- Auch über den Betrag an die EU wird noch gestritten
Am Mittwoch läutet der Bundesrat den Beginn des EU-Showdowns ein. Die Landesregierung hat sich über das brisante Dossier gebeugt und «eine Standortbestimmung vorgenommen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Warum verhandeln wir überhaupt?
Die Schweiz hat sehr enge wirtschaftliche Beziehungen mit der Europäischen Union. So wird zum Beispiel pro Arbeitstag eine Milliarde Franken zwischen der Schweiz und der EU ausgetauscht.
Die Verträge, die die Beziehungen regeln, sind jedoch alt. Darum hat Bundespräsidentin Viola Amherd (62) im März die Verhandlungen über ein Paket von Abkommen begonnen. Damit sollen bestehende Verträge aktualisiert, aber auch neue Abkommen abgeschlossen werden. Bis Ende Jahr sollen die Verhandlungen abgeschlossen werden.
Wo sind die Knackpunkte?
Der Bundesrat schreibt in seiner Medienmitteilung, bei den meisten Dossiers seien die Verhandlung «weit fortgeschritten». «In den Bereichen Personenfreizügigkeit, Strom und Schweizer Kohäsionsbeitrag wird intensiv weiterverhandelt, um übereinstimmende Positionen zu erzielen.»
Ein grosser Streitpunkt war bislang die Personenfreizügigkeit. Sie regelt, zu welchen Bedingungen EU-Bürgerinnen und -Bürger in die Schweiz kommen können, um zu arbeiten. Die Schweiz hat offenbar eine sogenannte Schutzklausel gefordert, um die Zuwanderung aus der EU zu bremsen. Gibt es in der Schweiz wirtschaftliche oder soziale Probleme, zum Beispiel eine zu hohe Arbeitslosigkeit, könnte diese greifen. Doch die EU will davon nichts wissen.
Ein weiterer Knackpunkt ist der Beitrag, den die Schweiz an einzelne EU-Länder bezahlt, der sogenannte Kohäsionsbeitrag. Momentan bezahlt die Schweiz freiwillig Beiträge an Entwicklungsprojekte zum Beispiel bei der Berufsbildung in EU-Staaten wie Kroatien, Litauen oder Lettland. Das sind insgesamt 1,3 Milliarden Franken über zehn Jahre. Neu soll die Schweiz regelmässig einen Beitrag leisten. Die «NZZ am Sonntag» schätzt, dass es sich um rund 450 Millionen Franken pro Jahr handeln könnte.
Beim Stromabkommen geht es unter anderem darum, dass die Netzstabilität gesichert wird. Damit verbunden könnte aber auch die Liberalisierung des Strommarkts in der Schweiz sein. Das dürfte innenpolitisch für Widerstand sorgen.
Wie die «NZZ am Sonntag» berichtet, gibt es weitere Knacknüsse. Zum Beispiel beim öffentlichen Verkehr. Die EU will, dass ausländische Anbieter ohne die SBB auf Schweizer Schienen fahren dürfen. Fährt heute ein Zug von Hamburg nach Zürich, ist das eine Kooperation zwischen der Deutschen Bahn und den SBB. Auch die höheren Studiengebühren für Ausländerinnen und Ausländer an ETH in Zürich und EPFL in Lausanne dürften noch zu reden geben.
Was hat der Bundesrat am Mittwoch entschieden?
Der Bundesrat hat sich am Mittwoch über den Stand der Verhandlungen informieren lassen. «Der Bundesrat stellt fest, dass in den meisten Bereichen des Pakets substanzielle Fortschritte erzielt wurden, namentlich bei den institutionellen Fragen und den staatlichen Beihilfen.»
Gleichzeitig hat er auch innenpolitische Arbeiten fortgesetzt. Für den EU-Deal müssten rund 150 Gesetze und Verordnungen geändert werden. Darum wurde schon jetzt mit der Vorbereitung der Botschaft begonnen.
Gleichzeitig liefen Gespräche mit den Kantonen, Sozial- und Wirtschaftspartner – also zum Beispiel den Gewerkschaften – um die Fragen in den Bereichen Zuwanderung, Lohnschutz, Strom und Landverkehr zu klären. Dies um mögliche Begleitmassnahmen zu identifizieren.
Der Bundesrat hat das Aussendepartement damit beauftragt, die Verhandlungen mit der EU weiterzuführen.
Wie geht es danach weiter?
Die Verhandlungen gehen in die heisse Phase. Solange nichts unterschrieben ist, kann sich noch vieles ändern. Das Ziel ist, dass Amherd im Dezember die Verhandlungen abschliessen kann. Vorher wird sie wohl schon am Donnerstag EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66) in Budapest beim Gipfeltreffen der «Europäischen Politischen Gemeinschaft» über den Weg laufen. Gut möglich, dass es dabei zu einem kurzen Gespräch kommt.
Sind die Verhandlungen einmal abgeschlossen, geht die innenpolitische Diskussion in der Schweiz so richtig los. Dabei dürften noch weitere Themen für Diskussionen sorgen: Genügt der Lohnschutz den Gewerkschaften? Hat die Schweiz bei einem Streit um die Vertragsinhalte genügend zu sagen? Je nachdem ist es möglich, dass schon das Parlament das neue Vertragspaket ablehnt. Die SVP lehnt ein Abkommen grundsätzlich ab, die Gewerkschaften fordern viele Zugeständnisse – möglicherweise zu viele?
Entscheidet letztlich das Volk?
Das ist sehr wahrscheinlich. Noch hat der Bundesrat nicht entschieden, ob es ein obligatorisches oder fakultatives Referendum braucht. Doch erwartet wird, dass die SVP so oder so ein Referendum einreicht. Dann gibt es eine Abstimmung.