EU treibt den Preis in die Höhe
Wie teuer wird der neue EU-Deal?

Dem Bundesrat stehen brisante Verhandlungen bevor: Die EU fordert deutlich höhere Zahlungen von der Schweiz für den Zugang zum Binnenmarkt. Der Bundesrat soll am Mittwoch entscheiden. Bei den Bürgerlichen formiert sich dagegen gewichtiger Widerstand.
Publiziert: 03.11.2024 um 13:45 Uhr
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Aussenminister Ignazio Cassis (r.) im Gespräch mit EU-Kommissar Maros Sefcovic. Die EU soll von der Schweiz in Zukunft jährlich fast eine halbe Milliarde Franken erwarten.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Schweiz vor entscheidender Woche in EU-Verhandlungen
  • Norwegen als Benchmark für Schweizer Kohäsionsbeitrag
  • Schweiz könnte fast 500 Millionen Franken jährlich zahlen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Der Bundesrat steht vor einer entscheidenden Woche in den Verhandlungen mit der EU. Wie die «NZZ am Sonntag» berichtet, wird am Mittwoch über die finanzielle Schmerzgrenze für den Zugang zum EU-Binnenmarkt entschieden. Es zeichnet sich ab, dass die Schweiz deutlich tiefer in die Tasche greifen muss als bisher.

Bisher zahlte die Eidgenossenschaft jährlich 130 Millionen Franken an ärmere EU-Staaten, um deren wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu fördern. Der Kohäsionsbeitrag soll Ungleichheiten innerhalb der EU verringern. Nun könnte dieser Betrag auf fast eine halbe Milliarde Franken steigen. Die EU orientiert sich dabei am Beispiel Norwegens, das für seinen Binnenmarktzugang bald 450 Millionen Euro pro Jahr zahlen soll.

Jährlich eine halbe Milliarde trotz Sparplan?

FDP-Nationalrat Simon Michel (47) sieht darin einen fairen Deal: «Norwegen ist eine realistische Benchmark für die Schweiz. Ich rechne mit einem Kohäsionsbeitrag in einem ähnlichen Umfang.» Er betont, dass dies gut investiertes Geld sei, verglichen mit den Ausgaben für Entwicklungshilfe.

Eine halbe Milliarde würden also jährlich an die EU fliessen. Ausgerechnet jetzt, wo der Bund sparen möchte. Laut Mitte-Nationalrätin und Economiesuisse-Vorstandsmitglied Elisabeth Schneider-Schneiter (60) hat dies seine Berechtigung. «Wenn wir von Brüssel Zugeständnisse kriegen, hat das seinen Preis», sagt sie. Norwegen, das bereits seit Jahren sehr viel mehr bezahle, betrachte dies etwa als Investition in die Märkte der Zukunft.

Schweiz kann mit Kohäsions-Rabatt rechnen

Doch nicht alle teilen diese Ansicht. Mitte-Ständerat Benedikt Würth (56) betont: «Norwegen ist kein Modell für die Schweiz.» Er argumentiert, dass die Schweiz nur einen sektoriellen Zugang zum Binnenmarkt habe und daher weniger zahlen sollte.

Würth hat damit nicht unrecht: Da die Schweiz kein EWR-Mitglied ist, kann sie durchaus mit einem Rabatt rechnen. Jedoch ist das Schweizer Bruttoinlandprodukt (BIP) höher als jenes Norwegens. Brüssel wird dadurch auch eine grössere Zahlung erwarten. Wie es aus Bern tönt, dürfte der Betrag also schlussendlich nicht allzu weit von den 450 Millionen Euro der Norweger entfernt sein.

SVP-Grüter fordert Entschädigung von der EU

Wenig überraschend ist der Widerstand bei der EU-Gegnerin SVP besonders gross. «Ich habe nie verstanden, dass wir der EU Geld schicken müssen, um mit ihr Handel zu treiben. Den Amerikanern und Chinesen überweisen wir ja auch nichts», kritisiert SVP-Nationalrat Franz Grüter (61). Er lässt bedenken, dass die EU-Länder deutlich mehr Güter in die Schweiz exportieren würden, als hierzulande ansässige Unternehmen auf dem europäischen Markt verkaufen. «Eigentlich müsste uns Brüssel eine Entschädigung bezahlen, nicht umgekehrt», sagt Grüter.

Doch auch der SVP-Nationalrat schätzt, dass die EU deutlich mehr Geld verlangen wird. Grüter reiste im November 2021 als Teil einer Delegation nach Brüssel und sprach dort mit Juraj Nociar, bis vor kurzem Kabinettschef des EU-Kommissars Maros Sefcovic (58). «Nociar machte deutlich, was die EU erwartet. Er sagte klipp und klar, dass sich die Kohäsionszahlung künftig am norwegischen Modell orientieren müsse, unter Berücksichtigung der Schweizer Wirtschaftsleistung.»

Widerstand bei der Öffnung des Schienennetzes

Neben den Finanzen gibt es weitere Knackpunkte. Die Zuwanderung bleibt ein heikles Thema. Die Schweiz fordert eine Schutzklausel, doch grosse Zugeständnisse der EU sind unwahrscheinlich. SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (64) hofft auf eine Präzisierung der bestehenden Regelungen: «Eine Präzisierung der bestehenden Schutzklausel hilft beiden Vertragsparteien.»

Überraschend ist, dass auch beim öffentlichen Verkehr noch Differenzen bestehen. Die EU will das Schweizer Schienennetz für ausländische Anbieter öffnen. Dies stösst in der Branche auf Bedenken. Ueli Stückelberger vom Verband öffentlicher Verkehr warnt: «Wir haben europaweit das am dichtesten befahrene Schienennetz.» Er betont die Wichtigkeit des Schweizer Taktfahrplans.

Trotz aller Unstimmigkeiten bleibt die Hoffnung auf eine Einigung. Manche setzen auf die gute Beziehung zwischen Bundespräsidentin Viola Amherd (62) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66). Nationalrätin Schneider-Schneiter zeigt sich optimistisch: «Ich hoffe, dass die beiden noch vor Weihnachten den Sack zumachen können.»

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