Wir dürfen uns natürlich freuen über den 1:0-Auftaktsieg der Schweizer Nati. Doch bei dieser Weltmeisterschaft kann man sich leider nicht auf das Sportliche beschränken – sie ist viel zu sehr kommerzialisiert und politisiert.
Bereits eine Woche nach dem Anpfiff steht fest:
1. Die Vergabe der WM 2022 war ein Fehler. Katar hat die Ausscheidung gekauft, auch mit lukrativen Gegengeschäften. Oder war es nur ein Zufall, dass das Scheichtum für mehrere Milliarden Dollar Rafale-Kampfjets anschaffte, nachdem Frankreich auf Katar umgeschwenkt war?
2. Das Katar-Bashing war zu stark. Unterdrückung der Frauen, Diskriminierung der Homosexuellen, Ausbeutung der Gastarbeiter, Einschränkung der Meinungsfreiheit: Die Anschuldigungen gegen Katar waren stets die gleichen.
Dabei ging unter, wie wandlungsfähig sich das Scheichtum zeigte, wie eindrücklich der Aufstieg vom Fischerdorf zur geopolitisch bedeutenden Macht gelungen war und wie pragmatisch die bestens ausgebildeten, meist 35- bis 45-jährigen Herrscher regieren.
Während Katar ebenso pauschal, aber genervt betonte, dass alle willkommen sind, hätte man auch gelassen sagen können: Schauen wir doch einfach, was die Gastgeber aus dieser WM machen.
3. Katar vergab die Chance auf ein Wintermärchen. Die Deutschen machten aus ihrer WM 2006 ein Sommermärchen. Ganz ähnlich hätte sich Katar als sympathischer Gastgeber zeigen, ein unvergessliches Fussballfest feiern und das Image des Landes nachhaltig verbessern können.
Doch das Scheichtum hat es bereits in der ersten WM-Woche vermasselt. Der offizielle Turnier-Botschafter bezeichnete Homosexualität als «geistigen Schaden» und entlarvte alle Willkommensparolen als Propaganda. In letzter Minute wurde der Verkauf von Bier in und vor den Stadien verboten. Als sich beim Auftaktspiel die Niederlage ihrer Mannschaft abzeichnete, strömten die katarischen Fans frühzeitig aus dem Stadion.
Schliesslich endete das harmlose Vorhaben der europäischen Klubs, die Captains eine Armbinde mit der Aufschrift «One Love» tragen zu lassen, im Crash der Kulturen. Es folgte ein Verbot mit diffusen Strafandrohungen – eine knallharte Machtdemonstration! Wie kann man bloss einen Penalty derart brutal verschiessen?
Die entscheidende Rolle bei diesem WM-Desaster spielt Gianni Infantino (52). Als Fifa-Präsident müsste er souverän und unabhängig handeln. Doch er tanzt nach der Pfeife Katars – und die ganze Welt schaut zu! Der Walliser Fussballfunktionär spürt seine Rolle nicht mehr, wenn er einen Waffenstillstand in der Ukraine fordert, der einzig Russland helfen würde. Und wenn er in einer bizarren Rede alle Kritik an Katar, an der Fifa und an ihm selbst ins Lächerliche zieht.
Nach seiner Wahl 2016 erlebte man einen vor Frische, Mut und Tatendrang strotzenden Fifa-Präsidenten. Wer ihm begegnete, erkannte seinen ehrlichen Willen, aus der Fifa wieder eine seriöse Sportorganisation zu machen.
Heute gibt es kaum noch persönliche Begegnungen, aber wer Infantino aus der Ferne sieht, hat einen abgehobenen Funktionär vor Augen, dem die Macht nicht gut bekommen ist – und der alle Werte vergessen hat, die den kleinen Gianni aus Brig zum Mr. President of Fifa gemacht haben.