Der Leiter der Caritas St. Gallen, Philipp Holderegger (52), erzählte diese erschütternde Geschichte auf Blick TV: «Eine ältere Frau kam zu uns, es kostete sie viel Überwindung. Im Gespräch wurde klar, dass sie die letzten fünf Tage des Monats, bevor die AHV kam, nur Karotten und Brot gegessen hatte. Ihr war das Geld ausgegangen. Sie hätte Ergänzungsleistungen in Anspruch nehmen können, schämte sich aber dafür.»
Dass die Schweiz zu den reichsten Nationen der Welt zählt, macht Armut hierzulande zum Tabu – und Holdereggers Bericht zu einem Skandal!
Nach Zahlen des Bundesamts für Statistik sind 722'000 Menschen von Armut betroffen: Einzelpersonen, die weniger als 2300 Franken im Monat verdienen, oder vierköpfige Familien, die weniger als 4000 Franken haben.
Um solche Menschen kümmern sich Holderegger und sein Team, mit vergünstigten Lebensmitteln, aber auch mit Tipps, wie man in dieser Lage rechnen muss. Er sieht in den letzten Wochen viele neue Gesichter, viele neue Anträge für Lebensmittelkarten. Für Budgetberatungen gibts Wartezeiten.
Kein Wunder: Ob Krankenkassenprämien, Heizung, Benzin oder Nahrungsmittel – die Lebenskosten steigen so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wer ohnehin jeden Rappen zählen muss, sieht sich durch 100 Franken mehr auf der Nebenkostenabrechnung vor unlösbare Probleme gestellt.
Viele der Betroffenen arbeiten laut Holderegger wie verrückt, doch ihr Lohn sei derart niedrig, dass sie bereits vor dem Ukraine-Krieg zu wenig zum Leben hatten. Das Problem ist also nicht neu, aber wie der Caritas-Chef sagt: «Die armutsbetroffenen Menschen haben in der Politik keine wirkliche Lobby. Sie sind keine spannende Zielgruppe!»
Tatsächlich übertreffen sich Politikerinnen und Politiker im Augenblick mit Vorschlägen gegen die Preisexplosion – von der Benzinpreisverbilligung bis zum «Bundes-Scheck» von 260 Franken für Erwachsene – doch die wirklich Armen stehen im Parlament selten auf der Tagesordnung.
Auch Noch-Finanzminister Ueli Maurer (71) wehrt sich vehement gegen die Giesskannen-Politik: «Wir können nicht einfach für alles Geld verteilen. Wir haben schlicht und einfach keines.» Recht hat er: Der Staat ist keine Vollkaskoversicherung.
Und – mal ehrlich: Die meisten können die Kostensteigerungen stemmen. Mal auf eine Autofahrt verzichten – und der höhere Benzinpreis ist kompensiert. Das neuste Handymodell kann noch ein Jahr warten (oder zwei). Und für die Winterferien am Strand gibt es günstigere Alternativen …
Was es allerdings dringend braucht, ist gezielte Solidarität. Bewusste Unterstützung. Massnahmen für Menschen, die Vollzeit arbeiten oder ein Leben lang gearbeitet haben, nun aber mit ihrem Einkommen nicht mehr gegen die explodierenden Preise ankommen.
Wenn arbeitende Menschen, aber auch Rentnerinnen, nur noch Karotten und Brot essen, sich aus dem gesellschaftlichen Leben verabschieden, sich gar verschulden müssen:
Dann muss sich etwas ändern in der reichen Schweiz!