Wen wunderts, wenn Bürgerinnen und Bürger der Politik angewidert den Rücken kehren? Der Stil von Donald Trump verbreitet sich zusehends auch in der Schweiz: Unsinn behaupten. Bewusst lügen. Den Gegner beleidigen oder gar bedrohen.
Drei Beispiele aus dieser Woche: In einem «Erklärvideo» behaupten Gegner der AHV-Revision: «Bei einem Ja ist die nächste Erhöhung schon programmiert. Und zwar für alle. Erst 66, dann 67 Jahre. So hat es das Parlament bereits beschlossen.» Das ist brandschwarz gelogen.
Finanzminister Ueli Maurer (71) lügt zwar nicht, wenn er für die Abschaffung der Verrechnungssteuer kämpft, doch er verhöhnt seine Gegner: «Es haben alle mal ein Brett vor dem Kopf, aber in dem Fall ist der Augenabstand praktisch null», so eine seiner Nettigkeiten.
Weit gravierender war ein Vorfall am Dienstag: Da sagte der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark (40) zu Energieministerin Simonetta Sommaruga (62), wenn sie im Winter die Energie-Notfallszenarien anwende, «gehen die Leute auf die Strasse, und sie werden weit mehr fordern als Ihren Rücktritt». Eine unverhohlene Drohung!
Mit der Corona-Krise kam die bisher heftigste Welle der Polarisierung in die Schweiz. Wie es scheint, ist sie seitdem nicht wieder verschwunden. Selbst um Routinegeschäfte wie die AHV oder die Verrechnungssteuer wird mit allerhärtesten Bandagen gekämpft.
Verehrte Politiker: Das ist unschweizerisch.
Unser Land wurde stark und stabil dank eines sehr effektiven Systems: Politikerinnen und Politiker aller grossen Parteien kämpfen hart, aber anständig für ihren Standpunkt – und einigen sich am Ende auf einen fairen Kompromiss. Weil es ihnen um die beste Lösung geht, nicht um grösstmögliche Profilierung.
Mittlerweile dreht sich der politische Alltag viel zu sehr darum, Empörung zu schüren und den Gegner schlechtzumachen. Gewiss, wir klassischen Medien sind an dieser Zuspitzung nicht ganz unschuldig. Noch viel stärker befeuern die sozialen Medien diesen ungesunden Trend, denn dort gilt: Je schriller die Beiträge, desto höher die Aufmerksamkeit.
Derzeit überbieten sich Politikerinnen und Politiker mit Lob auf den abtretenden Tennisstar Roger Federer (41) – er sei «mit den Füssen auf dem Boden und bescheiden geblieben», «ein sympathischer Repräsentant der Schweiz», «ein Vorbild für Generationen».
Die Vertreter der Schweizer Parteien sollten ebendiese Eigenschaften besser selbst an den Tag legen!