In der «Aargauer Zeitung» vom Montag erschien ein bemerkenswertes Interview mit Cédric Wermuth. Der 36-jährige SP-Chef rechnet mit seinem 25-jährigen Ich ab: «Ich war wie die meisten jungen Männer oft arrogant, oft ein Macho. Ich habe viele Menschen mit dieser Art brüskiert und verletzt, gerade auch Frauen.» Seine Erkenntnis: «Ich hatte mit 25 Jahren die persönliche Reife noch nicht für das Amt.» Und: «Ich würde nicht mehr mit 25 direkt für den Nationalrat kandidieren.»
Auf die Kritik am Wermuth von damals folgt ein Lob für den Wermuth von heute: «Ich bin weniger verbissen. Meine Balance ist gesünder, und ich bin selbstkritischer geworden.»
Wow – ist da wirklich mal ein Politiker offen, ehrlich und sogar selbstkritisch? Doch es kommen Zweifel auf: Oder spricht hier wieder mal ein Karrierist, der immer nur das sagt, was ihm gerade nützt?
Der Zeitpunkt für Wermuths Bekenntnisse war jedenfalls nicht ganz zufällig. Tags darauf muss er sich den Delegierten der SP Aargau stellen. Die Partei kennt eine Amtszeitbeschränkung von zwölf Jahren. Wermuth will eine Sonderbewilligung, damit er 2023 erneut für den Nationalrat kandidieren darf.
Wermuth hat oft bewiesen, dass er immer genau das tut, was ihn vorwärtsbringt:
Als Juso-Präsident gibt er den linken Revoluzzer und wird durch eine illegale Hausbesetzung landesweit bekannt.
Als Vizepräsident der SP Schweiz gelingt es ihm, die Abschaffung des Kapitalismus im Parteiprogramm zu verankern und den pragmatischen Flügel um Simonetta Sommaruga, Pascale Bruderer, Rudolf Strahm zu neutralisieren.
Vier Jahre lang präsidiert er die aargauische Kantonalpartei. Weil das als Mann in der SP schwierig geworden ist, macht er es pseudomässig im Co-Präsidium mit einer Grossrätin und sagt: «Ich bezeichne mich schon lange als Feministen.»
Im Wahlkampf 2011 schafft er mit unbändigem Einsatz und unbedingtem Willen den Sprung in den Nationalrat.
2019 wird der «Feminist» zum Ladykiller. Er sticht Nationalratskollegin Yvonne Feri parteiintern aus und kandidiert selbst als Ständerat. Seine Wahl hätte den Zähler der Amtszeitbeschränkung auf null zurückgestellt. Doch Wermuth scheitert grandios und muss erkennen: Im bürgerlichen Aargau wird er nie Ständerat, Regierungsrat oder sonst etwas, wofür es eine Mehrheit braucht.
Umso wichtiger für seine Karriere wird deshalb das Co-Präsidium der SP-Schweiz. Bis jetzt ist Wermuths Leistungsausweis zwar dürftig – die Grünen legen zu, die Sozialdemokraten serbeln –, doch das Amt gibt ihm die Möglichkeit, die Amtszeitbeschränkung zu umgehen und seine Karriere vor dem Aus zu bewahren: Keine Kantonalpartei wird dem nationalen Präsidenten eine Wiederwahl verwehren.
Am Dienstag spendierten die Delegierten Wermuth seine persönliche Extrawurst einstimmig und mit Standing Ovation – die vielen selbstkritischen Worte haben sicher dazu beigetragen.
Vielleicht sind sie tatsächlich ehrlich gemeint. Vielleicht auch nicht. Bei karrieregetriebenen Politikern weiss man nie so recht, was echt ist und was Kalkül.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hiess es, die Aargauer SP-Delegierten hätten Wermuths Ausnahme von der Amtszeitbeschränkung per Akklamation und ohne Abstimmung bewilligt. Dies trifft nicht zu. Wir bedauern diesen Fehler.