BlickPunkt über die Bundesratswahl
Zwei Frauen auf dem SP-Ticket – richtig so!

Die SP-Spitze erntete einen Aufschrei der Empörung, als sie ein reines Frauenticket für die Nachfolge von Simonetta Sommaruga ankündigte. Dabei ist der Entscheid nichts als konsequent.
Publiziert: 11.11.2022 um 23:59 Uhr
1/4
Am 7. Dezember wird die Nachfolge von Bundesrätin Simonetta Sommaruga bestimmt.
Foto: AFP
Christian Dorer-2.jpg
Christian Dorer

Für Daniel Jositsch (57) ist das zweifellos bitter: Seine Karriere lang hat er auf das Amt des Bundesrats hingearbeitet. Jetzt würde alles passen. Ausser, dass er ein Mann ist. Deshalb sagt er: «Ich kann das nicht akzeptieren» – und kandidiert gegen den Willen seiner Partei.

Keine zwei Stunden nach dem Rücktritt von Bundesrätin Simonetta Sommaruga (62) hatte das SP-Co-Präsidium Mattea Meyer (35) und Cédric Wermuth (36) bekannt gegeben: Die SP wird mit einem Frauenticket antreten – männliche Kandidaten sind unerwünscht!

Seitdem tobt eine heftige Debatte: Ist das nicht diskriminierend, undemokratisch, rechtswidrig?

Ein Blick in die Statistik zeigt: In der Geschichte der Schweiz gab es bisher 110 Bundesräte, aber nur 9 Bundesrätinnen. Die SP stellte 11 Bundesräte und 3 Bundesrätinnen. Von einer Diskriminierung der Männer ist hier nichts zu erkennen.

Keine politische Partei hat sich länger für Gleichstellung und Frauenförderung eingesetzt als die SP. Mit Simonetta Sommaruga und Alain Berset hat sie heute eine Bundesrätin und einen Bundesrat. Da ist es nur konsequent, dass sie die zurücktretende Frau durch eine Frau ersetzen will.

Gut möglich, dass Berset 2023 noch eine Legislatur länger Bundesrat bleibt: Folgt ein Mann auf Sommaruga, sässen fünf Jahre lang zwei Sozialdemokraten männlichen Geschlechts in der Regierung. Klar, dass das für die SP nicht geht – zu Recht würde es dann heissen: Sie predigt Frauenförderung und portiert Männer. Kommt hinzu: Mit Eva Herzog (60), Evi Allemann (44) und Elisabeth Baume-Schneider (58) stehen bereits drei Top-Kandidatinnen bereit. Was will man mehr?

Daniel Jositsch darf selbstverständlich trotzdem antreten – Erfolg wird ihm damit nicht beschieden sein: Die Zeiten, in denen das Parlament einen «wilden» Kandidaten wählte, um dessen Partei eins auszuwischen, sind vorbei.

Immer wieder war die SP ein Opfer dieser Taktik, etwa bei der Nichtwahl von Lilian Uchtenhagen 1983; an ihrer Stelle kam Otto Stich. Oder bei der Nichtwahl von Christiane Brunner zehn Jahre später; an ihrer Stelle wurde Francis Matthey gewählt, der allerdings ablehnte. Beide Frauen seien zu links, hiess es damals.

Im Jahr 2000 traf es die SVP, als ihre Kandidaten Rita Fuhrer und Roland Eberle nicht berücksichtigt wurden. Stattdessen kam der behäbige Samuel Schmid ins Amt, dessen wichtigste Eigenschaft für das Parlament darin bestand, dass er grösstmögliche Distanz zu SVP-Doyen Christoph Blocher wahrte.

In jüngerer Zeit hat sich eine neue Praxis etabliert: Wenn die Parteien qualifizierte Kandidatinnen oder Kandidaten aufstellen, werden sie auch gewählt. So sind die vier grossen Parteien wirklich in die Regierung eingebunden. So funktioniert Konkordanz.

Daniel Jositsch bleibt ein Trost: Die meisten, die in den Bundesrat streben, verfehlen ihr Ziel – weil sie zum Zeitpunkt der Vakanz zu alt oder zu jung sind, aus dem falschen Landesteil oder aus der falschen Partei stammen.

Es gibt viel mehr als sieben Schweizerinnen und Schweizer, die für den Bundesrat geeignet wären. Wer es schliesslich wird, ist zu einem grossen Teil Zufall.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?