Wer in den vergangenen Monaten einen Neuwagen gekauft hat, dürfte es schon gemerkt haben: Ständig piepst, blökt oder blinkt ein Warnsignal in neuen Autos. Nur minimal das Tempolimit überschritten oder kurz aufs Navi geschaut – und schon melden sich Tempoassistent oder Aufmerksamkeitswarner lautstark und mahnen, langsamer zu fahren und bitte nach vorne zu schauen. Manchmal melden sich gleich mehrere Systeme gleichzeitig.
Der Grund liegt in der neuen General Safety Regulation der Europäischen Union (EU), die für Neufahrzeuge verpflichtend bestimmte Fahrassistenzsysteme vorschreibt. Bereits 2018 hat sich die EU zum Ziel gesetzt, die Anzahl der Verkehrstoten und der Schwerverletzten bis 2030 zu halbieren. Erste Erfolge auf dem Weg dahin sind schon erkennbar: Die Zahl der Verkehrstoten ist seit der Jahrtausendwende in Europa rückläufig. Bis 2050 soll es dann keine tödlichen Verkehrsunfälle mehr geben. Die neuen Pflichtassistenten sollen einen Beitrag dazu leisten, indem sie Gefahrensituationen verhindern und Fahrerinnen und Fahrer zu regelkonformem Verhalten motivieren – sonst wird gepiepst.
Nur Neuwagen, keine Altfahrzeuge
Neu lancierte Modelle müssen diese Assistenten bereits seit Juli 2022 an Bord haben. Ab 7. Juli dieses Jahres müssen nun alle angebotenen Neuwagen entsprechend ausgerüstet sein. Das heisst: Die Autohersteller müssen auch die schon länger auf dem Markt befindlichen Modelle mit der Technologie nachrüsten. Bei den allermeisten war das Update problemlos, weil die Assistenten entweder schon serienmässig eingebaut oder als Option gegen Aufpreis angeboten wurden.
Warum solch eine EU-Regelung auch im Nicht-EU-Land Schweiz gilt? Weil unsere Autos bei Inverkehrsetzung den EU-Typgenehmigungen entsprechen müssen. Und die beinhalten die neuen Regelungen für Pflicht-Assistenzsysteme. Wichtig: Altfahrzeuge müssen nicht nachgerüstet werden; die Regelung gilt nur für neu in Verkehr gebrachte Fahrzeuge.
Auch wenn wir manche Assistenten schon gewohnt waren: Sie dürften unser Autofahren verändern.
Alkoholempfindliche Wegfahrsperre
Noch ist die Wegfahrsperre keine Pflicht, die nur Nüchternen den Motorstart erlaubt. Aber neu müssen alle Neuwagen per standardisierter Schnittstelle für die Nachrüstung einer solchen Alco-Wegfahrsperre vorbereitet sein. Bei Volvo gibts sie schon seit längerem unter dem Namen Alcoguard.
Blackbox
Freiwillig boten bisher einige Autoversicherer solch einen Unfalldatenspeicher an. Wer ihn montieren liess, profitierte von tieferen Versicherungsprämien. Neu ist die sogenannte «ereignisbezogene Datenaufzeichnung» aber ein Muss im Auto. Sie zeichnet Fahrdaten wie Tempo, Gaspedalstellung, Aktivität von Anti-Blockiersystem (ABS) und elektronischer Stabilitätskontrolle (ESP), Neigung und den Lenkwinkel ständig in einem temporären Speicher auf. In regelmässigen Intervallen werden dabei alte Daten wieder überschrieben – man kann also nicht Stunden, Tage oder Wochen zurückschauen.
Fest abgespeichert werden die Daten erst, wenn die Unfallsensoren beispielsweise zur Auslösung des Airbags einen Crash registrieren. Dann werden rückwirkend die fünf Sekunden vor und die 300 Millisekunden nach dem Unfall fix abgespeichert. So sollen sich künftig Unfälle leichter rekonstruieren lassen – unter anderem auch, ob ein Unfallfahrer in Selbstüberschätzung das ESP abgeschaltet hatte.
Geschwindigkeitswarner ISA
Der intelligente Geschwindigkeitswarner (auf Englisch Intelligent Speed Assistance oder kurz ISA) schaut aufs Navi und die per Kamera erkannten Verkehrszeichen. Sobald man das geltende Tempolimit überschreitet, meldet sich das Auto und mahnt mit einer akustischen oder optischen Warnung im Kombidisplay. Nein, das Auto bremst weder ab, noch reduziert es die Leistung. Denn die Fahrerin ist nach wie vor verantwortlich, wie weit sie das Gaspedal durchdrückt. Allerdings sind aktuelle digitale Navikarten und eine möglichst fehlerfreie Verkehrsschildererkennung nötig. Gerade Letztere funktioniert nicht immer einwandfrei; zumal die Verkehrszeichen für Limite und ihre Aufhebungen sich in ihrer Grafik von Land zu Land minimal unterscheiden. Da wird das erlaubte Tempo nicht immer zweifelsfrei erkannt.
Müdigkeits- und Aufmerksamkeitswarner
Je länger man am Steuer sitzt, umso mehr sinkt die Aufmerksamkeit durch Müdigkeit. Der Müdigkeitswarner überwacht zum Beispiel die Lenkbewegungen: Werden diese ruckartiger, geht der Algorithmus von einer nachlassenden Aufmerksamkeit aus und weist den Fahrer an, eine Pause einzulegen. Bei einigen frisch lancierten Modellen wie Toyotas bZ4X oder Subarus Solterra überwacht eine Kamera auch das Gesicht der Fahrerin und mahnt mehr Konzentration an, sobald sie häufiger blinzelt oder die Augen zu lange geschlossen hält. Bei der China-Marke Nio schreit der KI-gesteuerte Assistent Nomi auf dem Armaturenbrett «Stay focused!» («Bleib aufmerksam!»), sobald man schon nur aufs Navi schielt. Noch können die Assistenzsysteme nicht zwischen notwendigem Wegschauen, etwa auf Navi oder Radio, und Aufmerksamkeitsverlust unterscheiden.
Notbremsassistent
Sobald der Frontradarsensor zu geringen Abstand zum Vorausfahrenden wahrnimmt, tritt dieser Assistent voll auf die Bremse. Der Radarsensor ist in vielen Autos bereits verbaut, weil man ihn auch beim adaptiven Tempomaten für die Entfernungsmessung benötigt. Leider reagiert mancher Radar auch auf Tunnel- oder Garageneinfahrten – und tritt grundlos auf die Bremse, weil er eine Kollision fürchtet.
Notbremslicht
Greift der Notbremsassistent, startet auch das Notbremslicht. Die Bremslichter flackern ähnlich wie bei einer Alarmblinkanlage auf und warnen so den nachfolgenden Verkehr vor der starken Geschwindigkeitsreduzierung. Dieser Assistent hat schon einige Auffahrunfälle verhindert.
Notfall-Spurhalteassistent
Nicht zu verwechseln mit dem Spurwarner, der nur akustisch oder optisch warnt, wenn die Spur verlassen wird. Der Spurhalte-Assistent greift aktiv mit einer automatischen Lenkbewegung ein, sobald das Auto Gefahr läuft, die Fahrspur zu verlassen. Auch dieses System ist schon bei vielen höherpreisigen Neuwagen eingebaut. Oft funktionieren Kameras und Sensoren bei abgefahrenen oder fehlenden Strassenmarkierungen aber nicht zuverlässig – das meldet das System dann per Display.
Reifendrucküberwachung
Ein platter Reifen kann bei hohem Tempo fatale Auswirkungen haben. Deswegen überwachen Sensoren den Reifendruck aller vier Pneus kontinuierlich und melden auch geringe Abweichungen sofort. Das ist vor allem bei sogenannten Runflat-Reifen wichtig, da sonst ein Druckabfall kaum bemerkbar wäre. Auch dieses System ist schon seit einiger Zeit in den Autos verbaut.
Rückfahrassistent
Der Rückfahrassistent hilft beim Rangieren, eine Kollision zu vermeiden: Bemerkt er per Kamera oder Ultraschall-Parksensor ein Hindernis, bremst er sofort ab.
Und wenn die ganze Piepserei nervt?
Einfachste Lösung: Immer im Tempolimit und aufmerksam genug fahren, dann meldet sich kein Warnsignal. Aber wenn beispielsweise der Spurhalteassistent mit ständigem Eingriff in die Lenkung nervt, lässt er sich auch abschalten. Je nach Marke und Modell muss man dazu tief in die Einstellmenüs abtauchen – oder es gibt wie zum Beispiel bei Mercedes eine Taste gleich auf dem Homescreen. Aber: Bei jedem Neustart sind alle Assistenten wieder scharfgestellt.