Testfahrt im Tesla ohne Lenkrad
Nächstes Jahr kommt die Joystick-Lenkung

Der Traum aller Spielkonsolen-Fans wird wahr: Bereits 2023 will der deutsche Zulieferer Schaeffler-Paravan Autos per Joystick statt Lenkrad dirigieren. Blick testet das System unter anderem in einem Versuchs-Tesla.
Publiziert: 30.06.2022 um 11:15 Uhr
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Aktualisiert: 30.06.2022 um 13:10 Uhr
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Das Autoindustrie-Zulieferer-Joint-Venture Schaffler-Paravan entwickelt die Joystick-Lenkung. Hier im Test-Tesla, ...
Foto: Schaeffler-Paravan
Wolfgang Gomoll und Timothy Pfannkuchen

Seit 136 Autojahren streiten Designer und Techniker um das Lenkrad. Das wichtigste und wunderbar logische Bedienelement ist zwar bewährt – aber steht klobig im Raum und ist sicherheitstechnisch beim Crash ein Problem. Jüngst versuchten sich etwa Lexus, Mini und Tesla an neuen Lenkrädern. Nur ging es bisher noch nie ganz ohne. Aber heute wäre selbst das technisch möglich. Nicht nur künftiger autonomer Autos wegen, in denen man nur noch selten selbst ans Steuer muss, ist es an der Zeit, das Lenkrad zu überdenken.

Das Joint-Venture Schaeffler-Paravan aus Deutschland entwickelt und testet derzeit eine Joystick-Lenkung im Rennsport (DTM), bald sollen Serienautos folgen. Neu ist die Idee nicht: Mercedes zum Beispiel liess Blick 2004 testhalber mit Joysticks fahren (siehe Galerie). Aber rechtliche Aspekte – die mechanische Verbindung von Lenkrad und Vorderrädern war noch Pflicht – und Furcht vor Unfällen bei der Einführung standen dagegen.

Nun sind wir intuitiver

Heute sind selbst ältere Autofahrende daran gewöhnt, beispielsweise am Controller einer Spielkonsole oder auf dem Smartphone etwas Virtuelles intuitiv zu bedienen. Und die Vorschriften lassen Drive-by-Wire – also eine Lenkung nur mit elektrischen Impulsen statt einer festen Verbindung – heute unter bestimmten Voraussetzungen auch sicherheitstechnisch zu.

Paravans Joystick-Lenkung wird als bahnbrechend erachtet. Deshalb griff der Zulieferer-Riese Schaeffler zu und ging mit dem Unternehmen ein Joint-Venture ein. Wir probieren die Joystick-Lenkung in einem Versuchs-Tesla aus. Mit leichtem Bewegen der rechten Hand am Joystick dirigieren wir den Stromer. Wie im Computerspiel bedient man auch Gas und Bremse mit den Joysticks: Links ist links, rechts ist rechts, vorne Gas, hinten Bremse.

Test im Joystick-Tesla

Wir staunen, wie schnell man sich daran gewöhnt – erst fahren wir etwas eckig, bald aber ganz intuitiv. Nur eine dieser wirren Zukunftsvisionen? Von wegen! «So wird in Zukunft gefahren. Ohne Kurbeln am Lenkrad», ist Hubert Hügle, der Entwicklungschef von Schaeffler-Paravan, überzeugt. Netter Nebeneffekt: Ohne Lenkrad wirkt das Cockpit in diesem Tesla Model 3 noch aufgeräumter als im Serienauto.

Wir steigen um: Erst in einen VW Arteon, dann einen Mercedes-AMG C 63 4Matic, um in diesen Versuchsträgern die Fortschritte der Drive-by-Wire-Technik zu «erfahren». Im VW reagiert die Lenkung synthetisch, im Mercedes mit einer neueren Version 2.8 verbindlich und natürlich. Stufe 3.0 soll Mitte 2023 dann serienreif auf den Markt kommen und sogar nachträglich nachrüstbar sein.

Sicherheit ist das wichtigste

Vor allem aber erfüllt das System den Sicherheitsstandard ISO 26262. Der legt fest, wie Elektronik im Auto konzipiert werden muss, um Unfälle wegen Fehlbedienung oder Ausfall der Technik zu verhindern. Dank einer neuen Kraftübertragung ohne einen bisher noch nötigen Zahnriemen für das haptische Feedback soll die Steuerung künftig noch feinfühliger werden. Klopfen die Autohersteller schon an? «Wir hatten schon alle hier. Auch BMW oder Mercedes», so Hügle.

Paravan hat viel Erfahrung mit Auto-Umbauten für Fahrerinnen und Fahrer mit körperlichem Handicap. Der Chef kam schon vor 20 Jahren auf die Idee mit der Joystick-Lenkung. Aber erst heute ist sie technisch umsetzbar. Schaeffler-Paravan ist zwar nicht alleine dran am Thema, aber schätzt seinen Entwicklungsvorsprung auf die Konkurrenz auf drei Jahre.

Und was bringts?

Und was haben wir Autofahrerinnen und -fahrer vom Lenken per Joystick? Schnellere Reaktion dank der kürzeren Wege. Wir ersparen uns das «Kurbeln» beim Parkieren und in engen Kurven. Das Lenken erfordert weniger Kraftaufwand, und das Lenkgefühl lässt sich einfach per Software verändern. Ausserdem haben es Assistenzsysteme wie der Spurhalter einfacher, weil das Lenkrad nicht mehr mit bewegt werden muss, wenn sie den Kurs korrigieren. Und schliesslich nervt das Poltern in Schlaglöchern nicht mehr in der Lenkung.

Aber eine Hürde könnte doch bleiben: die Schweizer Gesetze zum Thema Hände am Lenkrad.

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