Zunächst ernteten der US-Elektropionier Tesla und sein exzentrischer Boss Elon Musk (50) vor allem eins: Spott. Ausgelacht haben sie ihn und seine Visionen einer verbrennerfreien Zukunft in den Chefetagen in Detroit, Stuttgart und Wolfsburg. Bis 2012 die Edel-Limousine Model S auf den Markt kam – und Elektro plötzlich cool und begehrenswert war. Bei Fahrleistungen und Software, aber auch beim Cockpit-Design setzte Tesla Massstäbe: Über den mittigen Touchscreen konnten beim Model S fast alle Funktionen gesteuert werden – eine Revolution, bei der andere längst nachgezogen haben.
Heute ist Tesla der mit Abstand weltgrösste Hersteller von Elektroautos: Die beiden Kompakt-Modelle 3 und Y sind weltweite Verkaufsschlager – das Model 3 war letztes Jahr gar das meistverkaufte Auto der Schweiz noch vor dem jahrelangen Bestseller Skoda Octavia! Und trotz aller Bemühungen produzierte beispielsweise VW letztes Jahr nur halb so viele reine Stromer wie Tesla.
Plaid mit über 1000 PS
Ende 2022 sollen nun die Neuauflagen der Limousine Model S und des Grossraum-SUVs Model X auch in Europa und der Schweiz starten. Während die Optik nur leicht nachgeschärft und auf bessere Aerodynamik optimiert wird, sind die Neuerungen unterm Blech weitaus spektakulärer. Als neue Topversion «Plaid» leisten die Modelle mit ihren drei E-Motoren sagenhafte 1020 PS! Damit rauscht das Model S als schnellster Serien-Stromer aller Zeiten in 2,1 Sekunden auf Tempo 100 und wird bis zu 322 km/h schnell. Bei der Reichweite geht Tesla von bis zu 637 Kilometern aus. Der Preis des Model S Plaid soll bei 129'900 Franken starten.
Etwas überrascht dürften potenzielle Käufer allerdings sein, wenn sie das Interieur des neuen Plaid auf der Tesla-Homepage unter die Lupe nehmen. Im Vergleich zu den Vorgängern siehts hübscher und hochwertiger aus – und der XL-Touchscreen wird aus dem Hochformat um 90 Grad gedreht. Auch das normal runde Lenkrad verschwindet und macht einem rechteckigen Steuer à la Düsenjet Platz. Aber: Von Hebeln für Blinker und Gangwahl fehlt jede Spur!
Gangwahl via Touchscreen
Während beim Vorgänger die Fahrstufen per Hebel rechts hinter dem Lenkrad angewählt wurden, werden sie neu – wie fast alle anderen Funktionen – über den mittigen Touchscreen gewechselt. Userin oder User müssen nur den schematisch dargestellten Tesla links auf dem Touchscreen nach vorne (Vorwärtsgang) oder nach hinten (Rückwärtsgang) ziehen – und die entsprechende Fahrstufe wird eingelegt. Um den Leerlauf – bei einer Automatik die N-Stellung – anzuwählen, muss offenbar ein Untermenü im System angewählt werden.
Diese Bedienung ist einzigartig in der Autowelt. Und könnte laut des Fachmagazins «Auto, Motor & Sport» für Tesla zum Problem werden: Denn sowohl in US-amerikanischen wie auch deutschen Richtlinien für die Zulassung von Motorfahrzeugen ist festgehalten, dass die angezeigte Fahrstufen-Reihenfolge bei Fahrzeugen mit Automatikgetriebe «P-R-N-D» lauten muss – also Parkposition (P), Rückwärtsgang (R), Leerlauf (N) und Fahren (D). Die Bedienung per Screen könnte die Zulassungsvoraussetzung laut des Magazins verletzten. Auf Anfrage erklärt das Schweizer Bundesamt für Strassen (Astra), dass ein Touchscreen zum Anwählen der Gänge grundsätzlich möglich wäre. Die Gänge müssten aber «auf dem Display einfach und permanent zugänglich» sein.
Der bekannte Youtuber Marques Brownlee fährt bereits einen Tesla Model S Plaid und weist in einem Video darauf hin, dass die Gänge auch über berührungsempfindliche Knöpfe an der Mittelkonsole angewählt werden können. Womit Tesla die Behörden-Vorgaben wiederum erfüllen würde.
KI setzt Blinker selbstständig
Eine noch ungewöhnlichere Funktion hat Elon Musk vor rund einem Jahr auf Twitter kommuniziert: Statt dass der Fahrer manuell den Blinker setzt, sollen in Model S und X Algorithmen berechnen, wohin der Fahrer am wahrscheinlichsten als Nächstes abbiegen möchte – und setzen entsprechend den Blinker. Dabei werden Hindernisse in der unmittelbaren Umgebung und Navidaten einbezogen. Musk soll dieses auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende System selber ausprobiert haben – und verkündete, dass man danach angeblich nicht mehr zu einem System mit Lenkrad-Schalthebel zurückkehren möchte.
Auch dabei sind die Chancen auf eine europäische Zulassung fraglich. Es könnte den Fahrer aber zumindest unterstützen. An dem ungewöhnlich geformten «Yoke»-Lenkrad, das wohl auch in einer ganz normalen, sprich runden Ausführung bestellt werden kann, befinden sich nämlich auch berührungsempfindliche Flächen, mit denen die Blinker auch manuell gestellt werden können. Dies sei laut Astra wichtig, damit «der Lenker das System jederzeit einfach und schnell übersteuern kann». Auch müsse das KI-System jederzeit ausgeschaltet werden können, sollte es wiederholt die falsche Richtung anzeigen.
Zulassung bleibt fraglich
Rechteckiges Lenkrad, Gangwahl per Touchscreen, die Steuerung der Blinker über KI: Bei den neuen Teslas werden sich die Kunden umstellen müssen. Ob die neuen Bedienfunktionen wirklich praktisch sind oder – etwa bei einem Ausfall des Touchscreen – gar zum Sicherheitsrisiko werden, wird sich spätestens bei der Lancierung auf dem europäischen Markt zeigen. Wenn die Features von hiesigen Behörden überhaupt eine Zulassung erhalten.