Strategievergleich zu Elektro, Software und zum Ende des Verbrenners
Welche Marke hat die Nase vorn?

Auf den ersten Blick zielen Mercedes, Nissan, Renault, Stellantis, der Volkswagen-Konzern und Volvo in die gleiche Richtung. Aber die Unternehmen gehen nicht im Gleichschritt vor – zu unterschiedlich sind Strategien und Startbedingungen.
Publiziert: 01.08.2021 um 05:09 Uhr
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Welche Marke hat die Nase vorn? Mercedes-Chef Ola Källenius (52) will in Europa ab 2030 nur noch rein elektrisch unterwegs sein.
Foto: Daimler AG
Andreas Faust

Wie wollen sie in die Zukunft fahren? In den letzten zwei Wochen haben gleich mehrere Autobauer darüber informiert – als hätten sie sich abgesprochen. Perfekt für einen Strategie-Check bei den Konzernen Volkswagen und Stellantis, bei Renault, Nissan, Mercedes und Volvo: Wohin steuern die Multimarken-Giganten, die Allianz aus französischem und japanischem Autobauer, der deutsche Edel-Hersteller und die schwedische Traditionsmarke, die längst mit mehr als einem Bein in China verankert ist?

Die Megathemen sind die gleichen: Elektrifizierung, Batterieproduktion, Mobilitätsservices und das Ende des Verbrennungsmotors. Autonomes Fahren? Das hat sich angesichts des Aufwands zur Entwicklung der nötigen künstlichen Intelligenz entzaubert. Und die Europäische Union macht Druck beim Klimaschutz: Noch ist die Initiative nicht Gesetz, aber ab 2035 sollen keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. Investitionen müssen also primär in die Elektrifizierung fliessen.

Wann wird die Modellpalette elektrisch?

Bis 2030 will Mercedes-CEO Ola Källenius (52) in Europa nur noch rein elektrisch unterwegs sein. Gleich sieht es Volvo-Chef Hakan Samuelsson (70). VW-Chef Herbert Diess (62) peilt bis 2030 70 Prozent Akkufahrzeuge in Europa an, in China und den USA sollen es dann 50 Prozent sein. Bei den anderen muss man genau hinschauen – elektrisch oder elektrifiziert? Stellantis will ab 2030 in Europa zu 70 Prozent «elektrifiziert» sein – damit sind auch noch Plug-in-Hybride gemeint. Weil der Konzern erst Anfang 2021 aus der Fusion von PSA und Fiat Chrysler Automobils FCA entstanden ist, sind seine 14 Marken sehr unterschiedlich unterwegs: Opel soll schon 2028 nur noch E-Autos anbieten, Schwester Peugeot will bis 2025 alle Modelle «elektrifizieren».

Bei Renault krempelt CEO Luca de Meo (54) alles um: Bis 2025 sollen 65, bis 2030 gar 90 Prozent der Modelle rein elektrisch sein. Kooperationspartner Nissan will 2023 schon 70 Prozent elektrifizierte Fahrzeuge verkaufen; ab 2030 sollen es nur noch Stromer sein. Aber: Diese Zielwerte gelten nur für Europa. Und Wasserstoff? Mit Batteriestromern kann die Industrie derzeit mit geringeren Kosten die CO2-Ziele für PW erreichen.

Woher kommen die Batterien?

Zellen sind jetzt schon knapp – das wird sich bei steigenden E-Auto-Zahlen noch verschärfen. Bisher kommen sie vor allem von LG oder Panasonic. Künftig machts die Autoindustrie selbst. Das drückt die Kosten, hält die Erlöse der ganzen Fertigungskette im Unternehmen und macht unabhängiger von globalen Lieferketten. VW und Volvo arbeiten mit dem schwedischen Batterie-Start-up Northvolt zusammen. Erstere planen vier sogenannte Gigafactories mit je 40 GWh (Gigawattstunden) Fertigungskapazität, letztere eine mit 50 GWh. Stellantis will ebenfalls ab 2030 global in fünf eigenen Werken Zellen für 260 GWh produzieren.

Mercedes sucht derzeit noch Partner für eine Zellfertigung, nachdem Northvolt mangels Kapazitäten abgewunken hat. Nissan rüstet sein Werk im britischen Sunderland für 100'000 E-Autos im Jahr um, und Renault widmet drei Altwerke in Nordfrankreich zum Elektro-Kompetenzzentrum für bis zu 400'000 Stromer pro Jahr um. Beide setzen bei den Zellen aber weiter auf Zulieferer.

Woher kommt die Software?

Tesla hat das Elektroauto erfunden? Sicher nicht – aber das Prinzip der Software als Plattform, also eines Betriebssystems, das alles im Auto steuert. Die Etablierten wollen jetzt ihren Rückstand aufholen und selbst zu Software-Riesen werden – manche mit einer Abkürzung: Stellantis arbeitet mit dem iPhone-Produzenten Foxconn zusammen, Volvo setzt auf Google, um künftig ein Auto statt von 100 Steuergeräten nur noch von einem Computer steuern zu lassen. Mercedes und VW gehen den harten Weg und entwickeln alles selbst. VWs Trinity-Projekt soll ab 2026 voll vernetzte, autonome Stromer der nächsten Generation hervorbringen. Renault und Nissan setzen ebenfalls auf Google; Renault kooperiert mit weiteren Start-ups bei der Entwicklung einer Plattform namens République.

Wann ist Schluss mit Verbrennern?

Das Ende des Verbrenners ist in Europa absehbar. Der VW-Konzern setzt alles auf Elektro und steigt bis 2035 aus, Mercedes und Volvo bis 2030. Weil Letztere aufs sogenannte Premiumsegment setzen, können sie höhere Preise verlangen, in denen sich die Elektrokosten besser unterbringen lassen, und so früher aussteigen. Bei Stellantis hängts von der Marke ab: Opel stellt den Verbrenner 2028 ab, Fiat-Chef Olivier François (60) will ab 2030 nur noch E-Autos verkaufen – wenns gut läuft, vielleicht schon ab 2025. Bei Marken wie Jeep oder Maserati wirds länger gehen.

Auch Nissan und Renault legen sich nicht fest. Erstere sind zum Beispiel in Nordafrika gross, Letztere auf den aufstrebenden Märkten Asiens. Und dort wirds die Verbrenner deutlich länger brauchen als in Europa.

Wann ist die Autobranche CO2-neutral?

Der VW-Konzern, Stellantis Renault und Nissan peilen einig das Jahr 2050 für die CO2-Neutralität an – wenig ambitioniert, bis dahin will die gesamte EU auch so weit sein. Bei Mercedes solls mit spätestens 2039 schneller gehen. Schon nächstes Jahr will Källenius CO2-neutral produzieren. Volvo setzt sich 2040 als Ziel.

Wie viel wird ausgegeben?

Noch müssen die Verbrenner das Geld für Investitionen einfahren – zumal sie preislich noch unter den Stromern liegen. Das soll sich nach 2025 oder 2026 ändern: Schärfere Abgasvorschriften verteuern dann Verbrenner, während sinkende Batteriekosten zu günstigeren E-Autos führen. Dann würden E-Autos sogar zum profitablen Business-Case, so Stellantis-Chef Carlos Tavares (62).

Vorher wirds aber teuer: VW und Stellantis investieren bis 2025 je fast 38 Milliarden Franken. Mercedes lässt sich die Umstellung gar 43 Milliarden Franken kosten. Auch für Volvo summiert es sich – hier 750 Millionen Franken für einen Motorenwerksumbau, dort die gleiche Summe für das erste E-Auto-Werk in den USA. Während Nissans CEO Makoto Uchida (55) für 1,26 Milliarden Franken in Sunderland umbaut, plant Renault rund 11 Milliarden Franken bis 2025. Nicht wenig trotz Sparplan im letzten Jahr, der im ersten Halbjahr 2021 aber schon wieder in die schwarzen Zahlen geführt hat.

Fazit

Alle wollen wachsende Profite aus Elektroautos, globale Risiken minimieren und CO2-Neutralität. Aber die Strategien sind unterschiedlich. VW geht volles Risiko auf Elektro – wenns schiefgeht, wirds schwierig für den Konzern. Bei Stellantis müssen die 14 Marken erst einmal zusammenwachsen und gemeinsame Technologien entwickeln – deshalb ist CEO Tavares zurückhaltend.

Weil Mercedes verstärkt auf Luxus und wohl ein entsprechendes Preisniveau setzen will, könnten die Ziele von Ola Källenius machbar sein – wenn er den Zell-Nachschub sichern kann. Renault und Nissan müssen dagegen gleichzeitig umstellen und das Alt-Geschäft profitabel machen – das wird nicht einfach. Volvo profitiert davon, dass bei der Übernahme durch den chinesischen Geely-Konzern 2010 langfristig die Weichen in die E-Mobilität gestellt wurden – auch wenns damals noch niemand nachvollziehen konnte.

Erstaunlich nur, dass sich zwei Branchengrössen so still verhalten: Hybridpionier Toyota ist bei der Elektrifizierung global ins Hintertreffen geraten – vielleicht wegen der Fokussierung auf Wasserstoff, die von anderen Herstellern aber nicht unterstützt wird? Und der Hyundai-Konzern entwickelt parallel alle Antriebsformen weiter, lanciert gerade die dritte Stromer-Generation und macht dabei alles selbst. Vielleicht werden gerade die Stillen gewinnen.



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