«Herr, wir danken Dir, dass wir hier sein dürfen», sagt der Bibelbus-Prediger im Innenhof der Messe München (D) und setzt vor sechs Zuhörern nach: «Nun lasst uns beten, auch wegen der Proteste gegen die IAA.» Eine sehr bayerische Messe, die von Frankfurt nach München gezügelte Internationale Automobil-Ausstellung (IAA). Das letzte Aufgebot? Autosalons wie Genf ringen um die Existenz. Kann die IAA als Öko-Hightech-Messe überleben?
Man spürt, wie sehr die Veranstalter mit den Absagen – sogar Opel fehlt an der deutschen Autoshow – gerungen haben. Man musste Lücken füllen: Der Stand des Autoclubs ADAC ist nun grösser als jener von Michelin. Slogan «Wir sind da», mit vier Sesseln und einem Stehtisch zur Mitgliederwerbung. Wohl auf dem kleinen Dienstweg wurde das Hauptzollamt München zum Dabeisein verdonnert. Und der US-Bundesstaat South Carolina gibt sich ebenso ein Stelldichein wie der bayerische Landkreis Ingolstadt. Dahinter tunken Herren in Anzügen mit IAA-enttäuschten Gesichtern Weisswürste in süssen Senf.
Publikumsmesse für Fachleute?
An den unzähligen Ständen der Start-ups und KMU stimmen die Standbesatzungen mit dem Prediger ein: Herr, lass Investoren vorbeigehen. Oder einfach den Tag, weil vom vielen Surfen mangels interessierter Besucher der Laptop-Akku leer ist. Dabei fände man hier oder beim Schweizer Autovisionär Frank M. Rinderknecht (65) von Rinspeed mit seinem modularen Lieferwagen CitySnap interessante Ideen für die Mobilität der Zukunft.
Software für E-Auto-Sounds, E-Bikes aus Abfällen und holografische Cockpit-Displays – aber nur Fachbesucher finden das spannend. Oder die Zulieferer, zwischen deren pompösen Ständen jene der Automarken wirken wie versehentlich dazwischen parkiert. Sollen halbwüchsige Autofans mit glänzenden Augen bei Conti, Magna oder Schaeffler verträumt über Schiebemuffen oder Tandemschrägkugellager für Getriebe streicheln?
IAA ist alles und darum nichts
Diese IAA kann alles zugleich, aber nichts mitreissend. Eine Automesse, die nur vernünftig sein will, ist ambitioniert, aber nicht aufregend. Es grünt so grün, dass dem Hirn das Herz vergeht. Ohne Emotionen erreicht man aber gerade jene typischen Autokunden nicht, die man erreichen muss, um die Mobilität trotz Klimawandel in die Zukunft zu retten.
Immerhin, Mercedes gönnt sich den grössten Stand und zeigt auch die meisten Neuheiten vom EQE (elektrisches E-Klasse-Pendant) bis zur SUV-Studie von Smart. Porsche enthüllt den Elektro-Rennwagen Mission R, Mutter VW den ID.Life als Ausblick auf den ID.2. Audi hat den A8-Ausblick Grandsphere, BMW einen Concept Car aus 100 Prozent Recyclingmaterial, Renault den Mégane Electric, Tochter Dacia den Jogger. Die Autos sind da. Nur sieht man sie kaum. Sie verstecken sich hinter Beteuerungen, sind bitte nur sinnvoll statt spassig. Selbst die deutschen Marken, über ihren Verband VDA Paten der IAA, schiessen ins Messeknie: Jeder – jeder! – CEO spricht von seinem «nachhaltigsten Autohersteller der Welt». Gähn.
Tradition kommt – aus China
Unter den Autobauern serviert nur ein Riese aus China traditionelle Autoshow-Kost: Great Wall hat für seine Marke Wey (deren SUV ohne Scherz Coffee 01 heisst) einen XL-Stand nach alter Salonsitte gebaut und obendrein einen für seine E-Marke Ora, denn beide sollen in Europa starten. Aber ansonsten sind sogar gleich drei Flugautos dieser Messe präsenter als all die Elektroautos. Nur in der Oldtimer-Halle darf man träumen, und die beiden Hallen allein für Velos und E-Bikes könnten gerade in einer grossen Stadt auf Anklang stossen.
Aber: Diese IAA soll auch Mitmach-Messe sein, bei der man im gestellten E-Auto über die «Blue Lane» in die City fährt, um in der Stadt E-Velos zu testen und über Nachhaltigkeit zu lernen. Ob dieses interessante und mutige Konzept angenommen wird, muss das Laufpublikum entscheiden. Für Medienberichte wurden die City-Stände derart spät eröffnet, dass fast alle – auch wir – längst wieder wegmussten. Ein Anfängerfehler dieser IAA, die einen Anfang wagen wollte. Gut gemeint ist halt nicht unbedingt gut gemacht.
Abgesang oder Aufbruch?
Hyundai hat die Not zur Tugend gemacht: An der IAA, die so unfertig scheint wie ihr ziemlich gesuchter Beiname «Mobility», wirkt der Stand der Südkoreaner wie ein Baugerüst, über dem der Deko-Wasserfall aus der Decke tropft als Verweis auf die kommende Wasserstofftechnologie. Wer nach Metaphern für einen IAA-Abgesang sucht, wird fündig beim Leierkasten-Spieler: Das Messelied wird nicht spannender, wenn man es emotionsfrei dahinleiert.
Doch sollte man nicht zu früh urteilen: Die Zeiten ändern sich. Vielleicht haben solche Messen eine Zukunft, weil sie verstanden haben, dass der Klimawandel real ist und das Auto allein nicht die Zukunft der Mobilität. Nicht zu vergessen: In Frankfurt war die letzte IAA nach altem Muster gefloppt. Vielleicht ist die neue IAA in München ihrer Zeit einfach zu weit voraus.