Mobilität der Zukunft in der Schweiz
Welche Rolle spielt künftig noch das Auto?

Klimaschutz, Verkehrsdichte, hohe Kosten: Das Auto steht zunehmend in der Kritik. Aber wie wichtig ist der motorisierte Indivualverkehr für uns? Drei Experten diskutieren die Zukunft des Autos.
Publiziert: 20.11.2022 um 15:39 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2022 um 10:04 Uhr
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Blick Auto-Talk an der Messe Auto Zürich: Drei Experten diskutierten die zukünftige Rolle des Autos in unserer Gesellschaft.
Foto: STEFAN BOHRER
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Andreas FaustLeitung Auto & Mobilität

In den vergangenen fünf bis zehn Jahren hat sich das Automobil so stark gewandelt wie nie in den Jahrzehnten davor. Aber wie wird sich seine Bedeutung für uns in den kommenden Jahren entwickeln vor dem Hintergrund der Elektromobilität, des möglichen Energiemangels und eines Wandels im Nutzungsverhalten? Im Blick Auto-Talk in der Messe Oerlikon anlässlich der Auto Zürich fragten wir drei Experten, in welche Richtung sich der motorisierte Individualverkehr entwickeln wird – oder ob das Auto gar obsolet werden könnte.

Andreas Burgener (63), Direktor Importeursverband Auto-Schweiz

Das Auto wird immer besser, schöner, sicherer und effizienter. Es bringt uns punktgenau von A nach B, und es ist zeitlich flexibel, auch wenn die Verkehrsdichte uns oft ausbremst. Und es ist hochemotional: Der Mensch liebt es, mobil zu sein. Deshalb sehe ich in flexiblen Finanzierungsmodellen des eigenen Autos wie zum Beispiel im Auto-Abo eher die Zukunft als im Sharing. Denn mit Fahrzeugen ist es wie mit einer Mietwohnung – möchte man wirklich Waschmaschine und Tumbler mit anderen teilen? Die einseitige Festlegung auf die Elektromobilität gibt den Herstellern die Möglichkeit, sich auf eine Technologie zu fokussieren. Unglücklich scheint mir als Ingenieur, dass mit dem Verbrennerverbot ab 2035 die Europäische Union eine Technologie verbietet. Besser wäre die Festlegung einer Nullgramm-Grenze für CO₂, die offen lässt, mit welchen Antrieben sie erreicht werden soll. Dann könnte man noch immer auch die Möglichkeiten von Wasserstoff und synthetischem Sprit ausloten. In zwanzig Jahren werden wir sicher automatisierter unterwegs sein – aber noch nicht in voll autonomen Fahrzeugen.

Andreas Herrmann (58), Leiter Institut für Mobilität an der Hochschule St. Gallen (HSG)

Das Auto ist unverzichtbar in der Schweiz, denn der ÖV leistet nur rund 20 Prozent der Personenkilometer. Autos sind gar effizienter als ein ganzer Zug mit nur fünf Passagieren. Aber wir sollten den Mut haben, das Auto neu zu erfinden. In den letzten 140 Jahren hat sich die Art und Weise seiner Nutzung nie verändert: Der Mensch kauft ein Auto und fährt es. Aber neben der Elektromobilität geben uns das automatisierte Fahren und die Vernetzung von Fahrzeugen und Infrastruktur neue Möglichkeiten, das Auto frisch zu denken und unser Mobilitätsverhalten zu wandeln. Wir sollten nicht auf alten Geschäftsmodellen beharren, sondern brauchen eine Mischform von Privatfahrzeugen und ÖV – Shuttles für 2 bis 16 Personen in den Innenstädten, die private Autos verdrängen – wie zum Beispiel bald in Oslo (N). Ob die Elektromobilität nun die ideale Antriebstechnik ist, lässt sich nicht abschliessend klären. Aber die Industrie braucht Planungssicherheit für ihre Investitionen. Deshalb sind in der Auto-Historie nie zwei Technologien parallel verfolgt worden und macht die Fokussierung auf den E-Motor Sinn.

Tobias Keel (40), Leiter New Business bei den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich (EKZ)

Dekarbonisierung heisst Elektrifizierung: Der Weg in die Elektromobilität ist vorgezeichnet – in zehn Jahren wird sie bereits einen grossen Anteil haben. Als Stromversorger sind wir gleich zweifach gefordert: Als Verteilnetzbetreiber wollen wir die nötige Energie fürs elektrische Fahren bereitstellen und gleichzeitig unseren Kundinnen und Kunden helfen, Zugang zu einer guten Ladeinfrastruktur zu erhalten. Wenn wir 2035 grossteils elektrisch fahren, wird der Fahrzeug-Strombedarf rund zehn Prozent des Gesamtverbrauchs ausmachen. Kurzfristig ist der Einfluss der Elektromobilität vernachlässigbar, dass wir den nötigen Strom dann künftig bereitstellen können. Helfen werden uns dabei neue Tarife und intelligente Steuerungen, die berücksichtigen, dass nicht jeder sofort laden muss, sobald er das Auto einsteckt. Bis in 20 Jahren sollten wir aber auch Fortschritte beim Sharing machen: Wenn heute Autos im Schnitt nur von 1,6 Personen genutzt werden und in 95 Prozent der Zeit herumstehen, lässt sich mit dem Teilen von Autos noch einiges an der Effizienz verbessern.

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