Marcel Guerry, Geschäftsführer Emil Frey Schweiz, über die Zukunft der Autobranche
«Die Preise für Mobilität werden steigen»

Corona, Lieferprobleme, Ukraine-Krieg: Die Schweizer Autobranche hat eine Dauerkrise zu bewältigen. Marcel Guerry leitet das Schweizer Geschäft der Emil Frey Gruppe und sieht Handlungsbedarf – vor allem bei der Politik.
Publiziert: 06.11.2022 um 10:03 Uhr
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Marcel Guerry (60), Geschäftsführer von Emil Frey Schweiz, ist sich sicher: Die Folgen von Corona, des Zusammenbruchs der Transportketten und der Ukraine-Krise werden lange für die Autobranche spürbar sein.
Foto: Siggi Bucher
Andreas Faust

Hier scheint die Autowelt stillzustehen. Holztäfer, Lederstühle, eine dunkel gebeizte Bar – ähnlich wie der Emil Frey Classics Showroom am Zürcher Utoquai hätte wohl auch ein Händler-Schauraum in den 1930er-Jahren ausgesehen haben können. Vier Oldtimer warten auf Käuferinnen; zwei klassische Aston Martin, ein offener Jaguar E-Type und ein kurzer Land Rover von 1973. Doch dann blickt Marcel Guerry (60) auf einige alte Fotografien an der Wand: Britische Demonstrierende sind zu sehen; den Anzügen nach in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts. «I am waiting for 14 months» und «Where is my Jag?» steht auf ihren Plakaten – nach 14 Monaten Wartezeit auf einen neuen Jaguar platzt ihnen offenbar der Kragen. «Lieferprobleme gabs also schon damals», sagt Guerry – und schon stecken wir mittendrin im Gespräch zu den aktuellen Herausforderungen der Autobranche.

Dennoch wirkt Marcel Guerry entspannt. Seit vier Jahren leitet der in Erlenbach ZH lebende Manager das Schweizer Geschäft der Emil Frey Gruppe, des zweitgrössten Autoimporteurs der Schweiz nach Neuauslieferungen. Und betätigt sich seit Februar 2022, dem Beginn der Corona-Pandemie, permanent als Krisenmanager: Lockdown, Chipmangel, Ukraine-Krieg – kann er noch gut schlafen? «Ich schlafe eigentlich immer gut – und mittlerweile haben wir ja auch Übung in der Krisenbewältigung.» Um die Kundschaft zufriedenzustellen, müssten sich die Mitarbeitenden immer wieder anpassen, aber das gelinge sehr gut.

Wunschautos brauchen deutlich länger

Vor allem die Lieferprobleme seien herausfordernd: Je nach Modell muss man derzeit zwischen drei und zwölf Monaten aufs neue Auto warten – und manchmal gar noch länger. «Wir bestellen in typischen Konfigurationen vorkonfektionierte Fahrzeuge und haben so für flexible Kunden immer Neuwagen verfügbar», sagt Guerry. Wer sein Wunschfahrzeug bis in Detail selbst definieren wolle – «vor allem bei den Premiummarken» –, könne das natürlich. «Die Kunden akzeptieren dann auch längere Lieferzeiten. Aber leider können wir oft selbst nicht prognostizieren, wann genau das Wunschauto dann auch ausgeliefert wird.» Das sei die grösste Schwierigkeit derzeit. Mit Leasingverlängerungen oder Leih-Occasionen liessen sich aber Wartezeiten überbrücken. Wann kehrt die Normalität zurück? «Nicht vor Anfang, Mitte 2024.»

Persönlich: Marcel Guerry

Marcel Guerry (60) ist seit 2018 Geschäftsführer der Emil Frey Schweiz. Zuvor war der gelernte Automechaniker unter anderem CEO von Mercedes Benz Schweiz und Italien. Guerry lebt mit seiner Frau in Erlenbach ZH. Seine Hobbys sind Golf, Mountainbike, Schneeschuhlaufen und Kochen.

Marcel Guerry (60) ist seit 2018 Geschäftsführer der Emil Frey Schweiz. Zuvor war der gelernte Automechaniker unter anderem CEO von Mercedes Benz Schweiz und Italien. Guerry lebt mit seiner Frau in Erlenbach ZH. Seine Hobbys sind Golf, Mountainbike, Schneeschuhlaufen und Kochen.

Während in der Corona-Pandemie zumindest die Nachfrage hoch blieb, sieht Guerry Unsicherheiten im Herbstgeschäft: «Im Sommer geht die Kauflaune immer zurück – bleibt abzuwarten, ob sich das in der Herbstsaison fortsetzt.» Aber der Preistrend kehre sich definitiv um. «In den letzten Jahren waren teils gar Preisrückgänge im Markt zu verzeichnen. Aber mit den steigenden Rohstoffpreisen, mit Chipmangel und Transportproblemen entsteht ein toxischer Mix, in dem die Branche nicht um teils markante Preiserhöhungen herumkommt.» Sieht er damit auch eine Art Bereinigung, nachdem die letzten Jahre oft von Rabattschlachten der Importeure geprägt waren? «Der Neuwagenmarkt war in den letzten Jahren teils ungesund überhitzt, weil man versucht hat, maximale Stückzahlen abzusetzen. Ich hoffe, dass sich das wieder gesund einpendelt.»

Laden auch für Laternenparker

Auch Elektroautos sind von Lieferschwierigkeiten betroffen, aber besonders wichtig, um die CO₂-Ziele zu erreichen. Wird der Elektro-Trend jetzt abgewürgt? «Wir müssen das Momentum mitnehmen. Es gibt die Autos, es gibt engagierte Händler und gute Argumente für Steckerfahrzeuge – und auch die Überzeugung bei der Kundschaft wächst noch mit der Sprit-Preisentwicklung.» Allerdings sei die Zahl der raren Chips gerade in elektrifizierten Modellen besonders gross.

Vor allem aber müssten Bund, Kantone, Städte und Gemeinden endlich ihre Hausaufgaben machen und die öffentliche Ladeinfrastruktur ausbauen, fordert Guerry. Eigenheimbesitzer hätten es selbst in der Hand, neu erstellte Überbauungen würden bereits entsprechend vorbereitet – aber noch immer gäbe es keine Lösung für die grosse Mehrheit der Mieterinnen in Bestandswohnungen. «Politische Richtlinien für Neubauten sind nicht nötig – der Markt wird es regeln, weil absehbar nur Überbauungen mit Lademöglichkeit noch attraktiv sein werden.» Aber den Laternenparkern müsse die Politik Hand bieten und Lösungen vorantreiben.

Restriktionen bringen nichts

Selbst wenn viele Städte derzeit versuchen, den Individualverkehr in Innenstadtbereichen so unattraktiv wie möglich zu gestalten? Guerry glaubt nicht an den Umstieg auf den ÖV dank Restriktionen. «Wenn wir die Innenstädte sperren, wird sich der Individualverkehr in die äusseren Wohnquartiere verlagern – das ist auch keine Lösung.» Den Verkehr solle man dynamisch regeln in Abhängigkeit vom Aufkommen, statt feste Regeln wie Tempo 30 zu setzen. Und die nötigen Investitionen für solch eine smarte Verkehrsregelung? «Gratis gibt es nicht. Aber es wäre eine sinnvolle Massnahme auch für den Umweltschutz und könnte über dessen Budgets finanziert werden», schlägt Guerry vor. Aber Städte argumentieren oft, dass sie den Verkehr ertragen müssten, der im Umland generiert wird. In der Stadt Zürich kommen 320 Autos auf 1000 Einwohner, in ländlichen Regionen sind es rund doppelt so viele. Guerry sieht die Notwendigkeit von mehr Dialog: «Solche Fragen kann man nicht einseitig verordnen. Dazu braucht es den gut schweizerischen Kompromiss. Denn auch Stadtzürcher fahren mit dem Auto in die Agglomeration.»

Das ist die Emil Frey AG

Der Mechaniker Emil Frey (1898–1995) gründet 1924 eine Werkstatt im Zürcher Kreis 6 – der Ausgangspunkt des zweigrössten Schweizer Autoimporteurs. Die Emil Frey AG fungiert heute als Generalimporteur für die Marken Citroën, DS, Jaguar, Kia, Land Rover, Lexus, Mitsubishi, Subaru, Suzuki und Toyota und betreibt zahlreiche eigene Garagenbetriebe nahezu aller in der Schweiz vertretenen Marken.

Das Unternehmen wird von Walter Frey (79), dem Sohn von Emil Frey, geleitet. Informationen zu Umsatz und Gewinn werden nicht veröffentlicht – dazu ist das Unternehmen in Familienbesitz auch nicht verpflichtet. Zudem ist die Emil Frey AG auch international tätig und einer der grössten Auto-Handelsbetriebe in Europa.

Der Mechaniker Emil Frey (1898–1995) gründet 1924 eine Werkstatt im Zürcher Kreis 6 – der Ausgangspunkt des zweigrössten Schweizer Autoimporteurs. Die Emil Frey AG fungiert heute als Generalimporteur für die Marken Citroën, DS, Jaguar, Kia, Land Rover, Lexus, Mitsubishi, Subaru, Suzuki und Toyota und betreibt zahlreiche eigene Garagenbetriebe nahezu aller in der Schweiz vertretenen Marken.

Das Unternehmen wird von Walter Frey (79), dem Sohn von Emil Frey, geleitet. Informationen zu Umsatz und Gewinn werden nicht veröffentlicht – dazu ist das Unternehmen in Familienbesitz auch nicht verpflichtet. Zudem ist die Emil Frey AG auch international tätig und einer der grössten Auto-Handelsbetriebe in Europa.

Angesichts steigender Energiepreise: Bleibt Mobilität für alle bezahlbar? «Die Preise für Mobilität werden steigen – auch wenn die Energiepreise wieder sinken sollten», sagt Guerry. «Und zwar für den Individualverkehr wie für den ÖV.» Denn Transport- und Rohstoffpreise dürften absehbar hoch bleiben. Muss die Politik dann eingreifen? «Ich hoffe, dass sie das tut. Mobilität ist ein Grundbedürfnis, und wir sollten versuchen, sie auch den Einkommensschwachen zu ermöglichen – sonst könnten sich auch soziale Konflikte entzünden, wie wir das teils schon in Frankreich und Italien sehen», sagt Guerry.

Verbrenner-Aus kommt zu früh

In diesem Zusammenhang sieht er vor allem das wohl definitive Verbrenner-Aus seitens der Europäischen Union (EU) problematisch: «Wir sollten CO₂-Emissionen reduzieren, nicht eine Technologie verbieten. Denn so legen wir uns komplett auf Strom als Grundlage unserer Energiewirtschaft fest. Dabei wird bis 2035 gar nicht genug regenerativer Strom zur Verfügung stehen. Alle Experten sind sich einig: Wir können bis dahin nicht einfach alle fossilen Treibstoffe ersetzen und Kernkraftwerke in Europa abschalten.» Guerry zieht eine Studie des Instituts EBP aus der Tasche: «Im Jahr 2030 werden wir 4000 Gigawattstunden (GWh) Strom allein für die Flotte der Elektroautos benötigen – aber dann haben wir Heizungen, die Industrie und den ÖV noch nicht mitgerechnet. Zum Vergleich: Das Kernkraftwerk Leibstadt kann 9600 GWh im Jahr produzieren, aber wir werden aus der Kernenergie aussteigen.» Er sei nun schon lange in der Branche, aber nie habe er sich seit der Ölkrise in den 1970er-Jahren Gedanken über die Verfügbarkeit von Benzin und Diesel machen müssen. Aber beim Strom sei diese eben nicht sicher ohne einen massiven Ausbau der Stromproduktion.

Wie bereitet sich Emil Frey auf eine mögliche Energie-Mangellage im Winter vor? «Wir halten uns an die Planungen der Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen», sagt Guerry. Der Blick in die Ostral-Regeln lohne übrigens – schon Unternehmen zwischen 12 und 25 Mitarbeitenden gelten dort als Grossverbraucher und könnten in einer Energiekrise mit Massnahmen belegt werden. «Natürlich können wir abends die Computer ausschalten – aber im Winterhalbjahr um 15 Uhr das Licht im Schauraum löschen ist keine Lösung, wenn wir darauf angewiesen sind, die Produkte zeigen zu können», erklärt er. Wird auch die Emil Frey Gruppe der neu gegründeten Energiespar-Alliance beitreten? «Nein. In unserem Unternehmen sind wir seit Jahren eine Energiespar-Allianz. Unsere Mitarbeitenden gehen schon aus wirtschaftlichen Gründen sparsam mit Energie um. Jeder kann einer Vereinigung beitreten, die Wirksamkeit liegt aber in der täglichen Umsetzung der Massnahmen.»

Warum nicht mehr Transparenz?

Elektrofahrzeuge werden auch im Handel zu grossen Umbrüchen führen – weniger Service, weniger Ersatzteile sind nötig. Was heisst das für die Garagisten? «Natürlich wird der Wandel Gewinner und Verlierer hervorbringen», sagt Guerry. «Aber wer flexibel auf die neuen Anforderungen reagiert, wird weiter sein Auskommen haben. Wichtig ist, dass wir in der Zusammenarbeit von Hersteller, Importeur und den Garagisten Lösungen finden, die die Kunden zufriedenstellen und allen ein Auskommen sichern.» Der digitale Wandel werde auch Verdienstmöglichkeiten hervorbringen, die man sich jetzt noch nicht vorstellen könne. Aber: «Ein defektes Lager lässt sich nicht per Software-Update reparieren. Deshalb werden wir immer Garagisten brauchen.»

Zahlen zum Geschäft lässt sich Guerry indes nicht entlocken. Als Aktiengesellschaft im Familienbesitz darf sich Emil Frey kommunikativ zurückhalten. Aber ist das noch zeitgemäss, wenn Transparenz heute vielen Unternehmen als grösste Tugend gilt? «Ich glaube, es passt absolut in die Zeit, wenn ein Unternehmen topsolide seit fast 100 Jahren am Markt ist», sagt der Emil-Frey-Chef. «Manche Grosskonzerne sind supertransparent – und alle paar Monate kommen dennoch Skandale hervor. Auch als stilles Unternehmen kann man erfolgreich sein.»

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