Am Anfang stand der Kochtopf. Als die Bayerischen Motorenwerke nach dem Zweiten Weltkrieg die Trümmer ihres Münchner Stammwerks wegräumten, war an Motoren nicht zu denken. Den in Nazi-Deutschland florierenden Flugmotorenbau hatten die Besatzungsmächte demontiert – Rüstungsaufträge waren nicht mehr angesagt. Und das einzige Automobilwerk der Marke lag hinter dem Eisernen Vorhang in Eisenach.
Wie beschäftigt man Karosseriebauer dann? «Mit der Fertigung von Kochgeschirr», sagt BMW-Werkshistoriker Reiner Wenleder. In mancher Münchner Mietwohnung könne man die Töpfe bis heute finden. Zurück zu den richtigen Töpfen – den Zylindern von Verbrennungsmotoren – fand BMW erst 1948 mit dem ersten Motorrad nach dem Krieg und 1951 mit der Nobellimousine 501 – Spitzname «Barockengel».
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Umbruch für den ganzen Konzern
Wenn man heute BMW-Produktionsvorstand Milan Nedeljković (55) zuhört, stehen das Münchner Werk und der ganze Konzern vor einem mindestens genauso einschneidenden Umbruch. Denn die Motorwerke haben sich just in ihrer Heimat vom Verbrenner verabschiedet. Die werden neu in Österreich und Grossbritannien zusammengeschraubt, während die alte Motorenhalle Platz macht für eine sogenannte I-Factory. Für rund 650 Millionen entsteht am alten Standort mitten in München eine neue Fertigung für die Neue Klasse, BMWs nächste Modellgeneration.
Gleich sechs Modelle sind auf einer komplett neu entwickelten Plattform geplant. Während BMW bisher auf Mischbauweise setzte – in vielen Modellen gibts Verbrenner und Stromer in der gleichen Karosserie –, kommt die Neue Klasse rein elektrisch und ohne alte Zöpfe: Die neue Batterie mit 800 Volt Spannung für kurze Ladezeiten besteht aus runden Zellen, die sich nur minimal berühren. Vorteil: Bessere Kühlung, 20 Prozent höhere Energiedichte, 30 Prozent mehr Reichweite und 25 Prozent mehr Effizienz als heute. Dazu kommen ein neues Bediensystem, das auch die Frontscheibe als Screen nutzt, rund ein Drittel Recyclingmaterial und der Einstieg in die Kreislaufwirtschaft, bei der schon bei der Autoentwicklung auf Demontierbarkeit und Wiederverwertung geachtet wird.
Nachhaltige E-Autos für Europa
Kohlefaser-Fahrgastzelle und Alurahmen wie beim ersten BMW-Stromer i3? Sind schon wegen der nötigen Energie zur Fertigung und wegen der Rezyklierbarkeit tabu – die Neue-Klasse-Karosserie besteht komplett aus Stahl. Neue Verbindungstechniken mit weniger Teilen reduzieren die Montagezeiten. Und statt giftigem Chrom sorgen Lichtleisten für den Karosserieschmuck. Mehr als 50 Prozent der CO₂-Emissionen in der Produktion gegenüber vergleichbaren heutigen Modellen sollen eingespart werden – das reduziert den schweren CO₂-Rucksack, den jedes neue Elektroauto mit auf den Weg bekommt. Bevor es mit zunehmender Laufleistung dann Verbrenner-Modelle doch noch ein- und überholt.
Wasserstoff-Autos, synthetischer Sprit und optimierte Verbrenner sind überall sonst auf der Welt für BMW ein Thema, aber in Europa setzt CEO Oliver Zipse (60) voll auf Strom. Im Jahr 2023 war jeder siebte BMW ein Stromer, 2024 jeder fünfte und bis 2030 soll die Hälfte rein elektrisch fahren. Alle sechs Versionen der neuen Klasse sollen in München wie auch im komplett neuen Werk im ungarischen Debrecen auf einer Linie gefertigt werden – das sorgt für Flexibilität. Ende 2025 gehts in Debrecen mit der Serienversion des frisch enthüllten Neue Klasse X los, ein Jahr später rollt die erste Limousine auf gleicher Basis in München vom Band. Künftig soll auch in China und Mexiko nach gleichen Standards produziert werden.
Digital steht das Werk bereits
In München müssen dafür vier Gebäude weichen: Presswerk und Lackiererei bleiben, Karosseriebau, Montage und Logistik entstehen neu. Was Nedeljković fast lapidar als «Transformation» bezeichnet, muss ein auf Jahrzehnte funktionsfähiges Werk hervorbringen, das sich dem rasant beschleunigenden technischen Fortschritt in der Autoindustrie anpassen lässt. Als die erste Neue Klasse anfangs der 1960er-Jahre BMW vor der Pleite rettete, zogen mit ihr Schweissroboter und die elektronische Datenverarbeitung ins Werk ein. Auch für die Zukunft mit der neuen Neuen Klasse setzt Nedeljković auf Software – und künstliche Intelligenz (KI). Denn die lässt sich leichter adaptieren als physische Produktionslinien. Also übernimmt Kollege KI? «KI ist für uns ein Werkzeug, soll aber nicht die Menschen am Band ersetzen», sagt Nedeljković. Sie müssen aber auf die neuen Systeme und Prozesse umgeschult werden. So wie schon 1200 Mitarbeitende aus der ehemaligen Motorenfertigung.
Das neue Werk steht eigentlich schon heute – als digitaler Zwilling im sogenannten Factory Viewer, in dem sich millimetergenau Maschinen positionieren lassen und heute schon Abläufe geplant, visualisiert und trainiert werden können. Wenn ein Werk geplant ist, lässt es sich per Copy-and-paste leicht überall duplizieren – das spart Zeit und Geld. Software hilft heute bereits bei der Qualitätskontrolle, beim Monitoring der Logistik und beim Schweissen lernen per Augmented Reality. Künftig soll KI im gesamten Produktionsprozess Komplexität reduzieren, allen Mitarbeitenden transparent Informationen in Echtzeit liefern und so bessere Entscheidungen herbeiführen. Die nötigen Kameras und Software zur Objekterkennung sind dabei Standardware.
Ab 2027 nur noch Stromer
Das Band bei einem Fehler anhalten – oder nicht? Heute eine Maschine für den Service abschalten – oder hält sie noch bis nächste Woche durch? Statt ins Meisterbüro zu laufen, um sich einen Befehl abzuholen, sollen die Mitarbeitenden selbst entscheiden, nachdem die KI die Optionen und deren Auswirkungen analysiert hat. Wissen und Entscheidungen dezentral organisieren – ein grosser Schritt für den ansonsten eher konservativ tickenden BMW-Konzern.
Noch läuft im Münchner Stammwerk der BMW 3er mit Verbrennern vom Band. Aber schon 2027 werden nur noch reine Stromer aus den Werkstoren rollen. Dann ist endgültig Schluss mit den Töpfen.