Keine Marke hat 2023 weltweit mehr elektrisierte Fahrzeuge verkauft als der chinesische Konzern Build Your Dreams BYD. Drei Millionen Autos mit Stecker sind eine gigantische Zahl – 50 Prozent davon waren reine Elektromodelle, was Platz 2 hinter Tesla bedeutet.
Für unseren ersten Vergleichstest wählen wir das 4,80 Meter lange BYD-Mittelklassemodell Seal. Es basiert auf der 3.0-Elektroplattform des BYD-Konzerns, die eine wichtige Neuerung aufweist: Bei der sogenannten Cell-to-body-Konstruktion (CTB) anstelle der Cell-to-pack-Konstruktion (CTP) sind die Batteriezellen direkt mit der Karosseriestruktur verwoben. Das heisst: Der obere Teil der Batterie und der Fahrzeugboden bilden eine Einheit, was zur Verringerung der Bodenfreiheit führt, die Kopffreiheit begünstigt und ganz nebenbei die Torsionssteifigkeit erhöht. Mit einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,22 liegt der vom früheren Audi-Designer Wolfgang Egger (60) gestylte Seal unter den besten Autos überhaupt.
Grosse Reichweite
Die in allen europäischen BYD-Modellen eingesetzte Blade-Batterie verwendet die Lithium-Eisenphosphat-Chemie und ist dank der Integration aller Komponenten in einem einzigen Modul besonders niedrig. Der Seal hat Hinterradantrieb und einen Synchronmotor mit 313 PS (230 kW) und 360 Nm Leistung. Gespeist wird er von einer 82-kWh-Batterie, die eine Reichweite von 570 Kilometern verspricht. Auf Wunsch gibts den Seal auch mit einem zusätzlichen Frontmotor, 4x4 und total 531 PS.
In unserem Vergleich trifft der Seal auf den BMW i4, der in seiner Einstiegsversion mit Heckantrieb 286 PS (210 kW) und 400 Nm leistet. Trotz fast identischer Abmessungen hat der BMW einen um sieben Zentimeter kürzeren Radstand. Der Kofferraum im i4 ist mit 470 zu 402 Litern grösser als beim Chinesen. Dieser kompensiert dies aber durch ein zweites 52 Liter grosses Staufach vorne unter der Haube, das nützlich ist, um ans Ladekabel zu kommen, wenn der Kofferraum voll beladen ist.
Hohe Qualitätsanmutung
Vom soliden und im Vergleich zum BMW besseren Schliessen der Türen bis zu den Soft-Touch-Oberflächen oder dem doppelten Verbundglas in den vorderen Türfenstern bietet der BYD Seal eine für diese Klasse sehr hohe Qualitätsanmutung. Bei BMW gefallen uns im Cockpit die zwei nebeneinanderliegenden, im gleichen Rahmen gefassten und leicht gewölbten Bildschirme (12,3 Zoll für die Instrumente, 14,9 Zoll fürs Infotainment) besser als der zentrale 15,6-Zoll-Touchscreen des BYD. Auch arbeitet das BMW-Betriebssystem intuitiver, funktioneller und verwendet ein besseres Vokabular.
Antrieb: Elektromotor, 82,5 kWh-Akku (brutto), 313 PS (230 kW), 360 Nm, Heckantrieb
Fahrleistungen: 0–100 km/h in 5,9 s, Spitze 180 km/h
Masse: L/B/H 4,80/1,88/1,46 m, Leergewicht 2055 kg, Kofferraum 402 + 53 l
Umwelt: Verbrauch Werk/Test 16,6/19,0 kWh/100 km, Reichweite 570/500 km
Preis: ab 44’990 Euro (in CH: noch nicht erhältlich)
Antrieb: Elektromotor, 82,5 kWh-Akku (brutto), 313 PS (230 kW), 360 Nm, Heckantrieb
Fahrleistungen: 0–100 km/h in 5,9 s, Spitze 180 km/h
Masse: L/B/H 4,80/1,88/1,46 m, Leergewicht 2055 kg, Kofferraum 402 + 53 l
Umwelt: Verbrauch Werk/Test 16,6/19,0 kWh/100 km, Reichweite 570/500 km
Preis: ab 44’990 Euro (in CH: noch nicht erhältlich)
Beim Platzangebot im Innenraum ist der auf einer speziellen EV-Plattform aufgebaute Seal klar im Vorteil. Er bietet sechs Zentimeter mehr Beinfreiheit, vier Zentimeter mehr Innenbreite und auch mehr Kopffreiheit als der auf einer Mischarchitektur basierende i4 (das 4er Gran Coupe gibts auch mit Verbrenner). So fühlen sich grössere Passagiere im Chinesen wohler. Zudem sorgt beim Seal ein serienmässiges Panoramadach für mehr Helligkeit.
Komfort gegen Dynamik
Die Abstimmung im knapp über zwei Tonnen schweren Seal ist klar auf Komfort ausgelegt. Wenig überraschend hat BMW fahrdynamisch die Nase vorn. Das gilt auch für die Bremsen, mit einem direkteren Ansprechen als beim Seal. Obwohl die Lenkung des BYD direkter ist (2,5 gegen 2,7 Lenkradumdrehungen von Anschlag zu Anschlag), arbeitet die des ebenfalls knapp 2,1 Tonnen schweren BMW deutlich präziser und kommunikativer. Der i4 wirkt bissiger und sportlicher als der sänftenartige Seal.
Antrieb: Elektromotor, 70,2 kWh-Akku (brutto), 286 PS (210 kW), 400 Nm, Heckantrieb
Fahrleistungen: 0–100 km/h in 6,0 s, Spitze: 190 km/h
Masse: L/B/H 4,78/1,85/1,45 m, Leergewicht 2065 kg, Kofferraum 470–1290 l
Umwelt: Verbrauch Werk/Test 15,8/22,0 kWh/100 km, Reichweite 483/354
Preis: ab 56’500 Euro (in CH: ab 62’800 Franken)
Antrieb: Elektromotor, 70,2 kWh-Akku (brutto), 286 PS (210 kW), 400 Nm, Heckantrieb
Fahrleistungen: 0–100 km/h in 6,0 s, Spitze: 190 km/h
Masse: L/B/H 4,78/1,85/1,45 m, Leergewicht 2065 kg, Kofferraum 470–1290 l
Umwelt: Verbrauch Werk/Test 15,8/22,0 kWh/100 km, Reichweite 483/354
Preis: ab 56’500 Euro (in CH: ab 62’800 Franken)
Bezüglich Reichweite schneidet der Seal besser ab. Seine Batterie ist mit 82 gegenüber 70 kWh aber auch grösser, was ihm zusammen mit dem niedrigeren Testverbrauch (19 kWh/100 km gegenüber 22 kWh/100 km beim i4) eine reale Reichweite von 500 Kilometern ermöglicht, während der i4 kaum über 350 Kilometer hinauskommt. Für BMW-Kunden, die mehr Reichweite wünschen, gibts freilich teurere i4-Varianten mit grösserem Akku.
Beim Laden gibts Vorteile für BMW: Für eine volle Ladung Wechselstrom mit maximal elf Kilowatt dauerts beim BYD 8,5 Stunden, beim BMW sieben. Und am Schnelllader tankt der BYD nur mit schmalen 150 kW (BMW mit 180 kW) – und so dauert es etwas mehr als eine halbe Stunde, um den Energiegehalt beider Batterien von 10 auf 80 Prozent zu laden. Auch bei der Batteriegarantie schwingt BMW oben aus. Für den i4 gilt zehn Jahre oder 250’000 Kilometer, für den Seal acht Jahre oder 200’000 Kilometer.
Der Preis ist heiss
Kommen wir schliesslich zum Kriterium Preis. Da hat, wenig überraschend, der BYD Seal die Nase vorn. Und zwar deutlich. In der Ausstattungsvariante Design startet er in Deutschland (der Marktstart in der Schweiz wird Ende Februar am Genfer Autosalon bekannt gegeben, soll aber noch 2024 erfolgen) bei 44’990 Euro. Und selbst die Allradversion mit über 530 PS und reichhaltigerer Ausstattung bleibt mit 50’990 Euro noch immer deutlich unter dem Basispreis des BMW i4 eDrive35, der in Deutschland ab 56’500 Euro und in der Schweiz ab 62’800 Franken erhältlich ist.
Fazit: Der BMW i4 eDrive 35 bietet mehr Fahrspass, Vorteile beim Laden und steht für einen spürbaren elektrischen Premiumanspruch. Doch der günstige Preis und der grössere Innenraum lassen den BYD Seal diesen Vergleich letztlich dennoch knapp gewinnen. Denn es stellt sich auch die Grundsatzfrage, wie wichtig Kunden künftig noch ein europäisches Gütesiegel à la BMW oder das Plus an Fahrdynamik ist?