Erneut hat die Erde gebebt: Am Montag traf es die türkische Provinz Malatya. Dabei seien am Montag mindestens ein Mensch ums Leben gekommen und mehr als 100 verletzt worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf die Katastrophenschutzbehörde Afad. Das Beben hatte laut der Erdbebenwarte Kandilli eine Stärke von 5,5. Das Epizentrum lag in der Gemeinde Yesilyurt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (69) bat indes um Vergebung für Verzögerungen bei der Erbeben-Hilfe.
Am 6. Februar hatten zwei Beben der Stärke 7,7 und 7,6 die Südosttürkei und den Nordwesten Syriens erschüttert. Mehr als 50'000 Menschen sind in der Türkei und Syrien ums Leben gekommen. Allein in der Türkei wurden nach Angaben der dortigen Regierung mehr als 173'000 Gebäude in 11 Provinzen des Landes zerstört.
Erdogan entschuldigt sich
Nach den Beben vor drei Wochen war Kritik am Krisenmanagement der Regierung laut geworden. Vielerorts wurde beklagt, dass Rettungsteams zu spät, in zu geringer Zahl und mit zu wenig Ausrüstung in die Krisenregion gekommen seien. Unter Trümmern verschüttete Menschen hätten so nicht gerettet werden können. In den Erdbebengebieten herrschten vielerorts Minusgrade, viele der Eingeschlossenen erfroren. In der Provinz Hatay etwa fehlt es Augenzeugen zufolge zudem auch drei Wochen nach den ersten Beben noch immer an Zelten.
Erdogan räumte nun einmal mehr Versäumnisse ein und sagte bei einem Besuch in Adiyaman, aufgrund der grossen Zerstörung, der Wetterbedingungen und der Schäden an der Infrastruktur habe man in den ersten Tagen nicht in der «gewünschten Effektivität» arbeiten können. Deswegen bitte er um Vergebung. Er bat zudem «um ein Jahr» Zeit, um «die Wunden des Erdbebens zum Grossteil» zu heilen. «Wie jeder Sterbliche können auch wir Fehler, Mängel und Makel haben.»
Erdogan mahnte jedoch auch, die Menschen sollten nicht auf die «Narren» hören, die staatliche Krisendienste angegriffen hätten. Die Opposition kritisierte dagegen den Vorstoss des türkischen Präsidenten. Man nehme die Entschuldigung nicht an, schrieb etwa die prokurdische Partei HDP auf Twitter. Der Chef der Oppositionspartei Deva erklärte, Erdogan könne der Verantwortung nicht entkommen.
Kritik an Hilfsorganisation
In Kritik für ihren Umgang mit dem Erdbeben geriet auch der türkische Rote Halbmond – die grösste Wohltätigkeitsorganisation in der Türkei. Sie soll Zelte für Erdbebenopfer an die private Hilfsorganisation Ahbap verkauft haben – statt sie kostenlos zu verteilen. Der Ahbap Vorsitzende und Musiker Haluk Levent bestätigte am Montag entsprechende Berichte.
Der Chef des türkischen Roten Halbmonds, Kerem Kinik (53), gab zu, dass seine Organisation 2050 Zelte an Ahbap gegen ein Entgelt geliefert habe, Gewinn sei aber nicht erzielt worden. Eine für die Herstellung von Zelten zuständige Tochterfirma habe die Zelte zum Preis der Produktionskosten zur Verfügung gestellt, schrieb er auf Twitter. Das Vorgehen löste im Land grosse Empörung aus.
Das Erdbeben in der Türkei und in Syrien
Die Erdbeben-Katastrophe hat nach Schätzung der Weltbank allein in der Türkei einen reinen Sachschaden von mindestens 34,2 Milliarden US-Dollar verursacht. Das entspreche vier Prozent des Bruttoinlandprodukts des Landes im Jahr 2021, hiess es in einem entsprechenden Bericht. Die Kosten für den Wiederaufbau könnten möglicherweise mehr als doppelt so hoch sein. Das hänge auch davon ab, inwieweit neue Bauvorschriften angewendet würden.
Die von der Katastrophe betroffenen Regionen haben in der Türkei die höchste Armutsquote und beherbergen ausserdem mehr als 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge, wie es in dem Bericht weiter heisst. Die Weltbank schätzt, dass 1,25 Millionen Menschen aufgrund der Schäden an ihren Wohnhäusern oder eines vollständigen Gebäudeeinsturzes vorübergehend obdachlos geworden sind. Die türkische Regierung hatte zuletzt von rund zwei Millionen Menschen ohne Obdach gesprochen.
Das Erdbeben hat die Türkei mitten im Wahlkampf getroffen. Erdogan hatte vor der Naturkatastrophe angekündigt, die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen von Juni auf den 14. Mai vorzuziehen. Ob er daran festhält, ist derzeit unklar. (bab/SDA)