Sie wollen flüchten, aber ihnen fehlen die Mittel. Russen, die jetzt zum Kriegsdienst gezwungen werden. Um sie davor zu bewahren, zu «Kanonenfutter» zu werden, haben Anastasia Suchanowa (32) und Viktoria Romanowa-Gok (28) ein Projekt ins Leben gerufen, das Russen hilft zu flüchten.
Der Hintergrund: Die erfolgreiche Gegenoffensive der Ukrainer hat Kremlchef Wladimir Putin (70) in die Bredouille gebracht. Vor drei Wochen verkündete er deshalb die grösste Mobilmachung Russlands seit dem Zweiten Weltkrieg. Gemäss Putin werden rund 300'000 Reservisten eingezogen.
Bestechungsgelder für die Grenzwache
Das Projekt der beiden Russinnen trägt den Namen «Na krivoi koze»-Airlines. Zu Deutsch: «Auf der hinkenden Ziege»-Airlines. Das sei eine Anspielung auf ein Sprichwort. «Auf einer hinkenden Ziege reist man zwar nicht besonders komfortabel, aber man kommt ans Ziel», sagt Suchanowa zu Blick.
Das Ziel sei in den meisten Fällen Kasachstan, Georgien oder Armenien. Um die Reisen zu organisieren, sammeln die beiden Frauen im Internet Spendengelder, aber auch Flugmeilen. «Damit können wir günstiger Tickets kaufen», sagt Suchanowa. Bislang seien etwa eine Million Rubel (rund 15'000 Franken) zusammengekommen.
Flüge ins Ausland seien aber schwer zu bekommen. Deshalb fliege man die «Passagiere», wie Suchanowa die Hilfesuchenden nennt, zu Flughäfen in Grenznähe. Von dort aus gehe es dann auf dem Landweg über die Grenze.
Das Risiko ist hoch. Suchanowa: «An der Grenze ist es wie beim russischen Roulette. Wer flüchten will, braucht auch Glück.» Ein Vorteil sei, dass die Liste der Einberufenen nicht immer aktuell sei. Wer also den Bescheid von der Regierung bekommen habe, könne unter Umständen doch entkommen. «Manchmal können wir aber auch die Zöllner an der Grenze zu Kasachstan bestechen», fügt sie an.
Über 1000 Reisen organisiert
«Es ist meine Motivation, alles gegen den Krieg zu unternehmen», sagt Romanowa-Gok. Die aus Sibirien stammende Stylistin verliess Russland, als der Krieg ausbrach. Gegen sie seien Strafbefehle hängig, weil sie an regimekritischen Protesten teilnahm.
Die Moskauerin Suchanowa, die bereits seit 15 Jahren in Spanien lebt und im Marketing tätig ist, erklärt es mit einer einfachen Rechnung: «Je weniger Männer in den Krieg ziehen, desto weniger Mittel hat die Regierung, um den Krieg fortzuführen.»
Das Projekt existiert seit knapp zwei Wochen. Gemäss den beiden Russinnen haben sie bereits über 1000 Reisen organisiert. «Wir schlafen kaum noch», sagt Suchanowa.
«Ein Weckruf»
Bei den Flüchtenden handelt es sich vornehmlich um Männer im Alter zwischen 18 und 45 Jahren. «Aber praktisch jeder kann einberufen werden», wendet Suchanowa ein, «auch Frauen, insbesondere Ärztinnen und Leute mit Militärerfahrung.» Es gebe einige junge Männer aus ärmeren Regionen, die nicht wissen, was im Land vor sich geht, und nun um ihr Leben bangen.
Für die beiden Frauen ist klar, dass sie sich mit ihrem Projekt auch selbst in Gefahr begeben: «Wir sind ziemlich sicher, dass es Konsequenzen für uns haben wird, aber dieses Risiko müssen wir eingehen.»