Was trieb Habte A. (41) zur Wahnsinnstat?
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Gleiskiller vor Gericht:Was trieb Habte A. (41) zur Wahnsinnstat?

Vor Gericht zeigt der Gutachter, wie es um die Psyche des Gleiskillers steht
Gleiskiller erinnert sich nicht mehr an seine Tat!

Der Eritreer Habte A. (41) aus Zürich stiess im Hauptbahnhof Frankfurt ein Kind vor einen einfahrenden Zug. Nun begann der erste Prozesstag. Er litt offenbar an Verfolgungswahn.
Publiziert: 19.08.2020 um 13:11 Uhr
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Aktualisiert: 20.08.2020 um 20:52 Uhr
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Habte A. wird in den Gerichtssaal des Frankfurter Landgerichts gebracht.
Foto: keystone-sda.ch
Michael Sahli, Frankfurt (D)

Habte A.* (41) aus Wädenswil ZH steht seit Mittwoch wegen seiner Wahnsinnstat vom 29. Juli 2019 vor Gericht: Der Eritreer schubste im Hauptbahnhof Frankfurt (D) eine Mutter (41) und ihr Kind (†8) vor einen einfahrenden Zug. Der Bub starb noch an Ort und Stelle.

Der erste Prozesstag gegen den Gleiskiller Habte A.* (41) in Frankfurt (D) ist ein Fenster in eine Welt des Wahnsinns. Selber wollte der Mann zur Tat zwar nichts sagen. Dafür kam der psychiatrische Gutachter, der mit Habte A. ausführlich gesprochen hatte, zu Wort.

«Elektronisches Blut»

Fazit: Habte A. hörte eine Stimme, die ihm Befehle gab. Der ehemalige VBZ-Mitarbeiter glaube, er habe «elektronisches Blut» oder «zu viel Strom im Körper». Dass er im Juli 2019 den Jungen und seine Mutter vor einen einfahrenden ICE warf, weiss der Beschuldigte nicht mehr. Während der Sachverständige die Gespräche mit dem Killer zusammenfasst, sitzt Habte A. abwesend neben seinem Dolmetscher.

Der 41-Jährige sieht älter aus als auf den Bildern, die man von ihm in der Zeitung sah. Er hat den Kopf rasiert, trägt ein buntes Hemd und eine Schutzmaske. Darunter ist zu erkennen, dass er immer wieder gähnt. Seine Hände sind zu Beginn mit Handschellen hinter den Rücken gefesselt.

Stimme soll ihn bedroht haben

2018 hörte Habe A. plötzlich eine männliche Stimme, die ihm Befehle gab, erklärte der Gutachter. «Die Stimme sagte ihm, wenn er ihre Befehle nicht ausführe, werde er getötet.» Und: «Er hatte das Gefühl, dass ihn die Arbeitskollegen verfolgen und beobachten.»

In den nächsten Monaten verschlimmerte sich der Wahn des VBZ-Mitarbeiters immer mehr. «Er sprach von einem Ring schwarz gekleideter Leute, die ihn verfolgen.» Einmal flüchtet Habte A. aus einem Bus, weil er sich von einer Gruppe schwarz gekleideter Menschen beobachtet fühlte. Ein anderes Mal glaubt er, von einer Person mit schwarzem Hut fotografiert worden zu sein.

Habte A. litt unter Verfolgungswahn

In den Monaten vor der Tat reiste er in halb Europa herum, in der Hoffnung, die Stimme abschütteln zu können. Es nützte nichts. Tage vor der Wahnsinnstat fuhr er nach Frankfurt, obwohl er dort niemanden kannte. «Weil man von hier gut überallhin flüchten kann», gibt der Sachverständige die Aussagen von Habte A. wieder.

Habte A. übernachtet auf Parkbänken, trinkt Bier. Ein Hotel sei ihm «zu wenig sicher» gewesen, so der Psychiater. Schlafen habe er nicht können. Und: Immer wieder habe er vor dunklen Gestalten davonrennen müssen, die ihm nach dem Leben trachteten.

Augenzeugin bis heute nicht von der Tat erholt

Während sich Habte A. nicht an die Tat erinnert, können die Opfer und Augenzeugen nicht mehr vergessen. Sie kommen am Mittwochmorgen ebenfalls zu Wort. Eine 79-jährige Frau, die auf dem Perron von Habte A. ebenfalls angegriffen wurde, erinnert sich: «Ich wollte nach München fahren, um meine Enkel abzuholen. Mir ist auf dem Bahnsteig ein Mann aufgefallen, der hinter einem Pfeiler hervorlugte.»

Dann kam der ICE, erzählt die Zeugin, während Habte A. sie mit düsterer Miene anstarrt. «Plötzlich sehe ich den Mann wieder. Wie er mit grosser Gewalt eine Frau und ein Kind ins Gleisbett stösst. Ich sehe beide durch die Luft fliegen. Unmittelbar danach werde ich gestossen.» Die Frau kletterte danach wieder auf den Perron. «Sie schreit ganz fürchterlich. Von dem Kind ist nichts zu sehen.» Die Rentnerin, eine pensionierte Lehrerin, habe sich weder körperlich noch psychisch von der Tat erholt.

«Tut mir unendlich leid für die Familie»

Der Killer selber liess seinen Anwalt ein Statement zur Tat verlesen: «Das, was ich getan haben soll, muss sich nach allen mir zugetragenen Informationen so zugetragen haben.» Und: «Es tut mir unendlich leid für die Familie.»

Am Nachmittag wandte sich Leos Vater direkt an einen der Ersthelfer: «Die Mutter möchte Ihnen Danke sagen, dass Sie so beherzt waren und sich um sie gekümmert haben – wo keiner da war», sagte er unter Tränen. Sein Anwalt machte dem Schweizer Arzt des Killers schwere Vorwürfe. Dieser habe eine Fehldiagnose gestellt, weshalb es überhaupt erst zur Tat hat kommen können.

Habte A. soll laut Staatsanwaltschaft in eine geschlossene Psychiatrie. Schuldfähig sei er wegen seiner psychischen Erkrankung nicht, aber er sei «eine Gefahr» für die Allgemeinheit. Der Prozess erstreckt sich über sechs Verhandlungstage.

* Name der Redaktion bekannt

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