Fast schon vergnügt hatte sich Horst Seehofer (70) in die Sommerferien verabschiedet. Dem rechten Terror hatte der Innenminister auf seiner letzten Pressekonferenz verstärkt den Kampf angesagt. Aktuelle Krisen waren nicht in Sicht – bis zum Mittag des vergangenen Montags.
Da stiess der Eritreer Habte A.* auf dem Frankfurter Hauptbahnhof einen achtjährigen Jungen und seine Mutter vor einen einfahrenden Zug.
Die monströse Tat traf die Deutschen in Zeiten wachsender Verunsicherung – und wachsender Gewaltbereitschaft auf Seiten der Rechtspopulisten und Neonazis.
In den vergangenen Monaten hatte es schon mehrere Angriffe durch Ausländer auf Reisende gegeben. Anfang Juni wurde in Kassel der Christdemokratische Politiker Walter Lübcke von einem deutschen Rechtsextremisten erschossen. In Düsseldorf hatten Dutzende junger Männer aus Nordafrika in einem Freibad randaliert.
Der politische Super-GAU
Jetzt hat der sinnlose Tod eines Achtjährigen endgültig bewiesen, dass Einzeltäter kaum aufzuhalten sind. Absolute Sicherheit gibt es nicht. Zur falschen Zeit am falschen Ort: Jeder kann Opfer werden.
Für Experten ist das nichts Neues. Für Innen- und Heimatschutzminister Seehofer aber ist der Mord an Gleis 7 der politische Super-GAU.
Denn wenn ein deutscher Politiker in den letzten Jahren bemüht war, sich in Zeiten grosser Migration als Sicherheitsgarant zu profilieren, dann war es Horst Seehofer. Jetzt muss der Minister zugeben: Er kann seine Versprechungen nicht halten.
Zielloser Aktionismus statt durchdachter Plan
Jahrelang versuchte der Bayer, mit fremdenfeindlicher Rhetorik das Erstarken der rechtspopulistischen AfD zu verhindern. Immer wieder brachte er mit Alleingängen in der Migrationspolitik die Koalitionsregierung von Kanzlerin Angela Merkel an den Rand des Scheiterns. Konkrete Ergebnisse geschweige denn messbare Erfolge seiner Politik gab es für Horst Seehofer – wenn überhaupt – äusserst selten.
Und so gleicht Seehofers Politik auch nach dem Frankfurter Mord eher ziellosem Aktionismus als einem durchdachten Plan. Etwa wenn er – an Merkel vorbei – für Deutschlands Bahnhöfe Milliardeninvestitionen fordert: «Für die Sicherheit der Menschen darf Geld keine Rolle spielen.»
Oder seine Idee der «erweiterten Schleierfahndung». Mit der sollten illegale Einreisen schon an der bayrisch-österreichischen Grenze verhindert werden. 43'000 Mal hat das im vergangenen Jahr nicht funktioniert. Hinter vorgehaltener Hand sprechen Polizisten von einem für die Öffentlichkeit gedachten Placeboeffekt: «Sichtbar, aber ohne Wirkung.»
Schleierfahndung an Schweizer Grenze
Auch im Fall des Bahnhofsmörders Habte A. hätte Seehofers Wunderwaffe wohl versagt. Der im Schengenland Schweiz anerkannte Flüchtling mit besten Integrationszeugnissen hätte am Donnerstag vor einer Woche an der Einreise ins Schengenland Deutschland nicht gehindert werden können.
Dennoch will Seehofer die Schleierfahndung ab September auch an der Grenze zur Schweiz einführen.
Verfolgt von den Misserfolgen auch der eigenen Politik gibt der deutsche Innenminister einmal mehr das grosse Flügelschlagen.
Bloss: Ohne Schwungfedern fehlt ihm, wieder einmal, der für das Fliegen nötige Auftrieb.
*Name geändert