Freund über Gleis-Killer
«Er litt an Verfolgungswahn und hörte Stimmen»

Er war ein Vorzeigeflüchtling in der Schweiz. Dann klinkte etwas aus in Habte A. (40). Er bedrohte seine Familie, floh und begann eine tagelange Odyssee. Am Montag tauchte er in Frankfurt auf und wurde zum Kindermörder. Warum drehte A. durch?
Publiziert: 31.07.2019 um 02:26 Uhr
|
Aktualisiert: 19.08.2020 um 16:49 Uhr
1/30
Habte A. wird in den Gerichtssaal des Frankfurter Landgerichts gebracht.
Foto: keystone-sda.ch

Er stand mit starrem Blick am Frankfurter Bahnhof hinter einer Säule. Und plötzlich griff er an: Nach einer viertägigen Flucht stiess der verheiratete Familienvater am Montag am Frankfurter Hauptbahnhof einen achtjährigen Bub aufs Gleis in den Tod.

Am Dienstag wurde A. dem Haftrichter im Frankfurter Amtsgericht vorgeführt. Er ist unrasiert, trägt einen weissen Einweg-Overall, Handschellen und den rosa Haftbefehl in der Hand. Der Eritreer wird vor 17 Uhr in U-Haft gebracht. Wegen Mord und Mordversuch in zwei Fällen.

Was trieb ihn zur Wahnsinnstat? Seit Monaten hat der ehemalige Vorzeigeflüchtling nicht mehr gearbeitet und er war in psychiatrischer Behandlung.

«Er hörte Stimmen»

Einer seiner Freunde erzählt gegenüber «Focus», dass Habte A. seit einem Jahr unter Verfolgungswahn litt und gar Stimmen hörte. «Wenn wir irgendwo allein sassen, drehte er sich plötzlich um und sagte: Wer redet da über mich?», erzählt der Mann, der ebenfalls Eritreer ist.

Solche Veränderungen kennt er von seinen Landsleuten zu Genüge. Die psychischen Problemen bei Migranten bringt er mit den Erlebnissen in der alten Heimat in Verbindung. «Manche sagen, dass sie dort von jemandem verzaubert wurden», erzählt der Afrikaner.

Nachbarin mit Messer bedroht

Am Donnerstag bedrohte Habte A. zu Hause in Wädenswil ZH seine Familie und eine Nachbarin. A. sperrte seine Frau und drei Kinder (1, 3 und 4) ein. Dann bedrohte er eine Nachbarin mit dem Messer, würgte sie und sperrte auch sie ein. Seine Frau, voller Angst, rief die Polizei. Ihr Mann war da schon auf der Flucht, seine Spur verlor sich.

A. sei völlig ausser sich gewesen, sagte seine Frau der Polizei. So habe sie ihn «noch nie erlebt». Die Zürcher Kantonspolizei erliess Haftbefehl, doch der Fall war ein «Bagatelldelikt». Die Polizei sah keinen Grund, A. öffentlich oder im Ausland zur Fahndung auszuschreiben.

Wo war Habte A. vier Tage lang?

Wo genau A. zwischen Donnerstag, dem 25. Juli, und Montag, dem 29. Juli, war, ist nicht klar. Laut «Bild» machte er sich von Wädenswil auf den Weg Richtung deutsche Grenze. Mit dem Zug fuhr er über Basel Richtung Hessen. An der Grenze kontrollierte ihn niemand. Auch bei einer Zufallskontrolle: Die Grenzbehörden hätten vom Haftbefehl wohl nichts gewusst.

Wo sich A. in den Tagen seit seiner Flucht aus Wädenswil und dem Mord in Frankfurt aufhielt, wen er traf, wo er übernachtete, das ist noch alles unklar. Klar ist lediglich, dass er am Montagmorgen vor 10 Uhr am Perron 7 im Frankfurter Hauptbahnhof den richtigen Moment abwartet, um unschuldige Opfer in den Tod zu stossen.

Chaotische Mahnwache

Am Dienstag halten rund 400 Menschen vor dem Frankfurter Hauptbahnhof eine Mahnwache. Es kommt zu chaotischen Szenen. Es wird gespuckt, beschuldigt, gestossen. «Vor dem Hauptbahnhof regiert schon wieder der Hass», titelt die «Frankfurter Rundschau». Linke und Rechte geraten aneinander. «Wir sind nicht mehr», steht auf einem Schild. Andere zeigen Bilder von Opfern vermeintlicher «Migrantengewalt».

Weder war der bekennende Christ A. radikalisiert noch zur Tatzeit alkoholisiert, wie Bluttests ergaben. Der Eritreer galt als freundlich, ruhig und korrekt. 2006 aus Eritrea in die Schweiz geflohen, erhielt er 2008 Asyl. Später arbeitete er für die Zürcher Verkehrsbetriebe VBZ. Auch dort galt er als engagiert und zuverlässig.

Dann klinkte etwas aus in dem 40-Jährigen, der ein Musterbeispiel für Integration war. Er wolle ein besseres und leichteres Leben für seine Kinder, sagte er. Etwas muss gründlich schief gelaufen sein in seinem Leben. Auf der Flucht, weit weg von seiner Familie, vermisste er seinen eigenen Sohn so sehr, dass er dieses Glück niemand anderem gönnte? Stunden vor der Tat postete er auf Facebook ein Foto seines Sohnes. (kes/man)

* Name der Redaktion bekannt

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?