Auf einen Blick
- Wohnungsmangel in Grossbritannien führt zu dystopischen Zuständen
- Schweiz kämpft mit steigenden Mietpreisen und Verdichtungsproblemen
- Langfristig können wir auf britische Verhältnisse zusteuern, kurzfristig gibts Entwarnung
London ist und bleibt ein teures Pflaster – auch wenn die Superreichen die britische Hauptstadt in Scharen verlassen. Im Nobelstadtteil Chelsea oder im Regierungsviertel Westminster liegt die Monatsmiete gerne mal bei über 10'000 Franken. Gleichzeitig herrscht in Grossbritannien grosser Wohnungsmangel.
Christian Hilber, Professor für Wirtschaftsgeografie, malt in einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» ein düsteres Bild: Einerseits gebe es riesige Warteschlangen für Sozialwohnungen, andererseits weise das Vereinigte Königreich die weltweit höchste Obdachlosenrate von allen entwickelten Ländern auf. «Junge Leute sind gezwungen, länger in der Wohnung ihrer Eltern zu bleiben. Immer mehr Menschen müssen auf sehr engem Wohnraum leben.»
Besonders dramatisch ist die Situation laut Hilber in der Metropole London. Dort seien günstige Wohnungen meist kaum benutzbar. «Sie zerfallen, sind von Schimmel überzogen oder mit Ratten verseucht.» Auch im Grossraum London seien Wohnungen sehr teuer.
Verdichtung kommt nicht voran
Im Vergleich dazu steht die Schweiz noch gut da. Wohnraum sei hierzulande verhältnismässig erschwinglich, konstatiert Hilber, der in London lebt. Nur spitzt sich die Lage auch hier zu. Mittlerweile klettern die Mietpreise auch in den kleineren Städten. Zur Einordnung: Die ärmsten 20 Prozent der hiesigen Haushalte müssen die Hälfte ihres Einkommens für die Miete bezahlen.
Eines der Hauptprobleme ist, dass es nicht gelingt, die vom Bund geförderte Verdichtung in den Zentren voranzubringen. Die dafür nötigen Hochhäuser stossen oft auf Widerstand. Die Folge sind Verzögerungen durch Einsprachen und Rekurse. Ein prägnantes Beispiel: das Zürcher Fussballstadionprojekt Hardturm, das auch ein Hochhaus mit 800 Wohnungen für über 1500 Menschen vorsieht.
Das Problem für Wohnungssuchende
Schon jetzt belastet die Schweiz das sogenannte Insider-Outsider-Problem. Aktuelle Mieter, die schon lange in einer Wohnung leben, sind die Insider, die von einer dank des Mieterschutzes tief gehaltenen Bestandsmiete profitieren. Die sich auf Wohnungssuche befindlichen Outsider müssen hingegen eine hohe Angebotsmiete zahlen, um eine neue Bleibe zu finden. Weil 2023 der Referenzzinssatz jedoch zweimal gestiegen ist, sind auch die Bestandsmieten zuletzt geklettert.
Gelingt es nicht, die Innenstadtverdichtung umzusetzen, wird sich das beschriebene Problem verschärfen, warnt Hilber. «Dann drohen der Schweiz langfristig ähnliche Verhältnisse wie in England.» Zumindest aus kurzfristiger Sicht dürfen die hiesigen Mieterinnen und Mieter jedoch aufatmen: Verschiedene Banken prognostizieren, dass der Referenzzinssatz im Frühjahr 2025 wieder sinken dürfte. Dann gehen auch die Bestandsmieten runter.