Jetzt ist's in Stein gemeisselt: Die G7-Staaten kaufen Russland kein Öl mehr ab.Das Weisse Haus in Washington teilt mit, alle G7-Staaten hätten sich am Sonntag dazu verpflichtet, die Einfuhr von russischem Öl auslaufen zu lassen oder zu verbieten. Die USA selber haben bereits ein entsprechendes Importverbot verhängt. In Brüssel verhandeln die EU-Länder ebenfalls über ein Öl-Embargo gegen Russland und weitere Strafmassnahmen.
Ob die Schweiz sich dem Sanktionspaket anschliesst, ist noch offen. So oder so werden die Folgen des europäischen Ölembargos hierzulande aber spürbar sein. Mit welchen Auswirkungen ist konkret zu rechnen? Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wo kommt das Öl in der Schweiz her?
75 Prozent des in die Schweiz importierten Öls ist bereits verarbeitet, etwa zu Diesel oder Benzin. Nur 25 Prozent wird als Rohöl importiert und in der einzigen Erdöl-Raffinerie der Schweiz in Cressier FR zu Benzin, Flugpetrol, Diesel, Heizöl und weiteren Produkten verarbeitet. Die wichtigsten Rohöllieferanten der Schweiz sind Nigeria (40 Prozent), USA (35 Prozent) und Libyen (12 Prozent). Bloss 0,3 Prozent des Rohöls stammen aus Russland, so die Zahlen des Branchenverbands Avenergy Suisse aus dem Jahr 2020.
Bei den verarbeiteten Importen ist die Herkunftsdeklaration schwieriger: Die Hälfte der Importe kommen aus Deutschland, gefolgt von Frankreich, Italien, Niederlande und Belgien. Diese Produkte können russisches Rohöl enthalten. Es ist jedoch nicht bekannt, wie gross der Anteil ist.
Wird die Schweiz weiterhin von ihren Nachbarn wie Deutschland beliefert?
Deutschland bezog vor dem Krieg 40 Prozent seines Rohöls aus Russland, konnte seine Abhängigkeit zwischenzeitlich jedoch auf zwölf Prozent reduzieren. Die Rohölverarbeiter können mit einigen Ausnahmen auf andere Rohölproduzenten wie die USA oder Norwegen umschwenken. Im Gegensatz zu Erdgas, das grösstenteils durch Leitungen fliesst, wird Rohöl meist per Schiff befördert.
«Der Schweiz droht keine Einschränkung der Versorgungssicherheit. Sollte Deutschland tatsächlich weniger Fertigprodukte liefern können, haben wir genügend Alternativen», sagt Fabian Bilger (32), stellvertretender Geschäftsführer bei Avenergy Suisse.
Was geschieht, wenn es ganz unerwartet trotzdem zu Engpässen kommen sollte?
Die Schweiz führt ein Mineralöl-Pflichtlager, das die Versorgung mit Benzin, Diesel und Heizöl für viereinhalb Monate sichert, bei Flugpetrol reicht es für drei Monate. Die Pflichtlager sind voll aufgefüllt. Der Bundesrat kann bei Versorgungsengpässen Mengen aus diesen Pflichtlagern freigeben.
Ist an der Zapfsäule eine neuerliche Preisexplosion zu erwarten?
Experten rechnen zumindest mit einem vorübergehenden Preisanstieg. «Ich gehe davon aus, dass der Ölpreis nochmal kräftig anzieht», prognostiziert Andreas Tresch (32) vom Beratungsunternehmen Enerprice. Steigt der Ölpreis, erhöhen die Tankstellenbetreiber zügig auch den Preis an der Zapfsäule. Tresch erwartet, dass auch die Strom- und Gaspreise nach oben schnellen werden.
Der Preiseffekt könnte aber relativ rasch wieder verpuffen. Die Unsicherheiten aufgrund eines möglichen Ölembargos wurden bereits im Vorfeld vom Markt eingepreist. Fabian Bilger von Avenergie Suisse rechnet deswegen nicht mit einer erneuten Preisexplosion wie zum Kriegsausbruch.
Wie schwer wird das Ölembargo gegen Russland die Schweizer Wirtschaft treffen?
Direkte wirtschaftliche Folgen hat das Embargo kaum – als Exportnation werden die Auswirkungen in der Schweiz aber dennoch erheblich sein. «Wichtige Handelspartner sind wesentlich stärker exponiert, so dass ein starker Anstieg des Erdölpreises dort zu deutlicheren wirtschaftlichen Rückschlägen führen könnte, die dann über unseren Aussenhandel auch die Schweiz treffen würden», sagt Aymo Brunetti (59), Professor für Volkswirtschaft an der Universität Bern. Deutliche konjunkturelle Rückschläge wären insbesondere zu erwarten, falls das Embargo lange dauern würde oder sich auch auf Erdgas ausdehnen würde.
Welche Branchen in der Schweiz sind besonders betroffen?
Die Schweizer Wirtschaft hat ihre Erdölabhängigkeit in den letzten Jahren zwar reduziert, ein starker Preisanstieg wird aber trotzdem die meisten Schweizer Branchen treffen – insbesondere die Industrie und den Transport. Am stärksten durchrütteln dürfte es allerdings den Rohwarenhandel. Rund 80 Prozent des russischen Rohstoff-Transithandels laufen über Unternehmen in der Schweiz.
Das macht beinahe 20 Prozent des gesamten Schweizer Transithandels aus. «Weil dieser Sektor für das Schweizer Bruttoinlandprodukt relativ wichtig ist, können Einbussen hier rasch spürbare Rückschläge beim BIP bringen», sagt Volkswirt Brunetti. Allerdings gebe es in diesem Sektor in der Schweiz nur relativ wenig Arbeitsplätze.
Wird das Leben in der Schweiz durch das Embargo noch teurer?
Das Ausmass der Preiserhöhungen hängt von sehr vielen Faktoren ab und kann deshalb kaum seriös prognostiziert werden. «Allerdings kann man in so gut wie jedem Szenario mit deutlichen Preiserhöhungen rechnen, und das wird die ohnehin schon deutlich steigende Inflation weiter anheizen», sagt Brunetti. So richtig einschenken dürften die Preiserhöhungen aber bei den Schweizer Handelspartnern. Die Inflation in der EU ist im April auf 7,5 Prozent angestiegen und dürfte bei einem Embargo weiter Fahrt aufnehmen.