Putin stoppt die Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien. Die EU kündigt ein Ölembargo gegen Russland an. Damit ist klar: Die Versorgungssicherheit in Europa ist massiv gefährdet – auch in der Schweiz, die 70 Prozent ihrer Energie importiert.
Das grösste Problem sind die Heizungen. Auf ihr Konto geht die Hälfte des hiesigen Energieverbrauchs. Und sie decken ihn zu 60 Prozent mit Öl und Gas. Auch auf den Dächern sieht es nicht gut aus: Die Sonne liefert heute gerade einmal sechs Prozent des Stroms.
Dabei könnten die Gasheizungen schon längst Geschichte sein und die Dächer voller Solarpanels – wenn die Kantone es denn wollten. Denn sie sind für den Gebäudebereich zuständig und machen schon seit 1990 ihre eigenen Energiegesetze.
Um schweizweit eine minimale Harmonisierung zu erreichen, verpflichten sie sich regelmässig auf einen gemeinsamen Nenner: die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn). Zuletzt geschah dies vor acht Jahren. Im Zuge der Energiewende definierten die MuKEn 2014 neue Vorgaben für Heizungen, Gebäudedämmung und Eigenstromproduktion – mit dem Ziel, die Erneuerbaren auszubauen und den Energieverbrauch zu senken.
Keinerlei Vorschriften
Um die Vorschriften umzusetzen, müssen die Kantone ihre Energiegesetze anpassen. Deshalb gaben sie sich 2014 sechs Jahre Zeit dafür. Doch 2020 waren die MuKEn in gerade mal acht Kantonen in Kraft: Appenzell Innerrhoden, beide Basel, Freiburg, Jura, Luzern, Obwalden, Thurgau und Waadt. In Solothurn, Bern und dem Aargau hingegen schickte das Volk die neuen Energiegesetze bachab. Und in den Kantonen Wallis, Uri, Zug und Genf laborieren die Parlamente noch heute an den entsprechenden Vorlagen. Heisst: Auch im Jahr 2022 sucht man die MuKEn in sieben Kantonen vergebens.
So hantiert der Aargau weiterhin mit dem Energiegesetz von 2012, das noch auf den Mustervorschriften von 2008 fusst. «Der Vorteil dieser MuKEn besteht darin, dass die Mustervorlage durch die Kantone mit dem Wissen der Umsetzbarkeit und Vollzugstauglichkeit erarbeitet wurde und einem breiten Konsens der Kantone entspricht», sagt der Aargauer Energiedirektor Stephan Attiger (55, FDP). Mit anderen Worten: Umsetzbarkeit, Vollzugstauglichkeit und Konsens wurden aus Sicht der Aargauer bei den MuKEn 2014 nicht berücksichtigt – darum fielen diese an der Urne durch.
«Auch in Solothurn hat der Begriff MuKEn einen schlechten Nachgeschmack», sagt Urban Biffiger (50), Leiter der kantonalen Energiefachstelle. In Solothurn schmetterte das Volk das revidierte Energiegesetz 2018 mit über 70 Prozent Nein-Stimmen ab. Warum? «Die MuKEn sind der Bevölkerung zu kompliziert», sagt Biffiger. «Und mit Verboten haben wir schlechte Erfahrungen gemacht.»
Angst vor dem Volk
Im Kanton Wallis, wo die neue Energievorlage gerade im Parlament liegt, versteht man das als Warnung: «Wir wollen die Sanierung der Gebäude rasch vorantreiben, vorab jedoch durch finanzielle Anreize und weniger durch Verbote», sagt Energiedirektor Roberto Schmidt (59, CSP). Aus Angst vor dem eigenen Volk schnipselten bereits andere Kantone an den Mustervorschriften herum. Mit der Folge, dass sie heute mit ganz verschiedenen Energieeffizienz-Zahlen, Prozentanteilen der Erneuerbaren am Energieverbrauch und Wirtschaftlichkeitsberechnungen operieren.
Ausserdem bauten die Kantone Schlupflöcher ein: Heute gilt vielerorts eine Solarpflicht bei Neubauten. Doch in Kantonen wie Jura, Luzern, Neuenburg, Nidwalden, Obwalden oder Tessin können sich Hausbesitzer davon freikaufen. «Es ist ein Flickenteppich», sagt Elena Fasoli (22), Politikanalystin beim Immobilienberater IAZI. «In jedem Kanton sieht es anders aus. Das macht der Baubranche das Leben schwer und behindert das Erreichen der Klimaziele.»
Am schlimmsten sind die alten Öl- und Gasheizungen. «Doch auch 2022 werden immer noch zwei Drittel davon durch neue fossile Heizungen ersetzt», sagt Léonore Hälg (34) von der Schweizerischen Energie-Stiftung. Denn auch in den MuKEn-Kantonen sind diese weiterhin erlaubt. Das sei ein generelles Problem, sagt Hälg. «Die Mustervorschriften geben nur minimale Anforderungen vor. Sie sind nicht mehr zeitgemäss.» Das Resultat seien veraltete Vorschriften, die einige Kantone gar nicht und andere sehr uneinheitlich umsetzen. «Der Flickenteppich nützt nur den Heizöl-Verkäufern.»
Der einzige Kanton, der bei den Ersatzheizungen keine Schlupflöcher zulässt, ist Basel-Stadt. Fossile Heizungen müssen zwingend durch erneuerbare ersetzt werden. In Basel sind die MuKEn schon seit 2017 in Kraft. Die Solarpflicht bei Neubauten ist eine Selbstverständlichkeit, der gesamte Stromverbrauch im Kanton wird mit Erneuerbaren gedeckt. Basel ist auch Vorreiter beim Ausbau des Fernwärmenetzes. «Die Energiewende ist machbar und finanzierbar», sagt Energiedirektor Kaspar Sutter (46, SP). Die Umsetzung der MuKEn sei nicht in allen Kantonen einfach. «Aber es handelt sich um Mindestvorschriften. Die Kantone müssten viel ambitioniertere Massnahmen ergreifen.»
Energiegesetz durchgefallen
Das sieht der Berner Energiedirektor Christoph Ammann (53, SP) nicht so eng. In seinem Kanton fiel das Energiegesetz 2019 an der Urne durch. «Eine Nachbefragung zeigte, dass es am Verbot von fossilen Heizungen scheiterte», sagt Ammann. Jetzt hat er eine Vorlage durchs Parlament gebracht, in der nicht mehr die MuKEn im Zentrum stehen. Ammann setzt auf die Gesamtenergieeffizienz bei Neubauten. Das Gesetz ermächtigt die Regierung, die Effizienzanforderungen per Verordnung so anzupassen, dass fossiles Heizen nicht mehr möglich ist. Das Wort «Verbot» kommt im Berner Energiegesetz nicht mehr vor. «Alles ist erlaubt», so Ammann. «Aber in der Praxis läuft es auf erneuerbare Heizungen und Fotovoltaik hinaus.»
Im Kanton Bern dürfen Hausbesitzer ihre alten Ölkessel weiterhin durch fossile Heizungen ersetzen – wie in 24 anderen Kantonen auch. Und eine Sanierungspflicht gibt es nirgends: Wer seine alte Heizung nicht ersetzen will, lässt sie drin.
Ein Armutszeugnis für die Kantone. Doch der Bündner Regierungsrat Mario Cavigelli (56, Mitte), Präsident der Energiedirektorenkonferenz, widerspricht: «Seit 2000 haben die Kantone den Energieverbrauch der Gebäude um 14 Prozent gesenkt, beim Heizen waren es 20 Prozent und bei den CO2-Emissionen seit 1990 satte 39 Prozent.» Zwar seien die Kantone bei der Umsetzung der MuKEn unterschiedlich weit. «Das ist so gewollt. Mit diesen Vorschriften können die Kantone ihre Energiegesetze so schmieden, dass sie auch an der Urne Ergebnisse erzielen.»
Gerade beim Heizen gehe es um sehr konkrete Eingriffe, die sich auch auf das Portemonnaie auswirken. Cavigelli: «Da ist pickelharte Überzeugungsarbeit nötig.»
Ein Energienotstand würde diese Arbeit erleichtern. Bloss ist es dann zu spät – nicht zuletzt, weil die Kantone es verbockt haben.