Der Amerikaner war sichtlich beeindruckt: «Ja, unsere Teams liefern Ergebnisse aus einem verdammten Parkhaus in Charkiw, bei schwerem Beschuss und Gewehrfeuer in der Gegend. Erstaunliche Menschen», sagte Logan Bender dem US-Sender CNBC.
«Mister Bender» ist Chef einer Softwarefirma aus San Francisco (USA). Und die «erstaunlichen Menschen», die er gerade im Tonfall eines John Wayne lobte, sind für Unternehmen aus dem Westen normalerweise Geister: Die Rede ist von den unsichtbaren Helfern der weltweiten IT-Branche.
Denn die Ukraine ist nicht nur die Kornkammer der Welt, sie ist auch ein riesiger Talentpool für Fachkräfte der Datenverarbeitung. Westliche Technologiefirmen haben ihre Programmierarbeiten dorthin ausgelagert, oft auch ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Rund 300'000 Spezialisten gibt es in dem umkämpften Land. Informatik-Dienstleistungen im Wert von sieben Milliarden Dollar exportierte die Ukraine allein 2021, so der neuste Branchenreport. Die USA kauften für zwei Milliarden Dollar ein, die Schweizer für mehr als 111 Millionen.
Günstiger als in der Schweiz
Mit dem sogenannten Outsourcing sparen Firmen Geld, weil Programmierer im Ausland viel weniger kosten. Zum Vergleich: Ein Projektmanager in Kiew verdient knapp 3500 Dollar im Monat, ein Software-Entwickler rund 3000 Dollar. In der Schweiz sind Bruttolöhne von 130'000 bis 140' 000 Franken im Jahr keine Seltenheit. Hiesige Tech-Cracks kosten also locker dreimal mehr.
Der Markt sei extrem ausgetrocknet, qualifizierte IT-Leute seien kaum zu finden, sagt Benjamin Schlup, IT-Experte bei iTopia, einer auf Finanzhäuser spezialisierten Firma. Gerade in der Schweiz saugten die Grossen wie Google und Microsoft gute Arbeitskräfte ab. Und Nachwuchs komme zu langsam nach. Überdies gelten ukrainische Mitarbeiter als gut ausgebildete, qualifizierte Leute.
Der weltweite Fachkräftemangel treibt teilweise seltsame Blüten. So überschlugen sich die User der Job-Plattform Linkedin sofort mit Solidaritätsbekundungen für die ukrainischen Kollegen. Dann aber kamen die Bürolisten aus dem Westen schleunigst zum Geschäft. Egal, ob aus Zürich, Lissabon oder Barcelona, die Westler schwärmten von ihrer Firma und wiesen elegant auf offene Stellen hin.
«Ethisch problematisch», findet das Benjamin Schlup, wundern tut es ihn aber nicht. Permanent werde weltweit versucht, Arbeitskräfte anzuheuern.
Flawiler Lokalnachrichten aus der Ukraine
So positiv sich das Auslagern der Informatik auf die Unternehmensbilanz auswirken mag, eine Kehrseite hat diese Verfahrensweise doch: So erlitt die Ostschweizer Online-Plattform hallowil.ch gerade einen Totalausfall. Die Seite, die über lokale Themen wie die anstehende Dachsanierung des Flawiler Kindergartens berichtet, wurde von der fernen Ukraine aus betrieben.
Die Ostschweizer verloren zu Kriegsbeginn den Kontakt zu ihren Spezialisten, nachdem deren Gebäudekomplex angegriffen und teilweise zerstört worden war. Hallowil berichtet von einem Mitarbeiter, der dabei ums Leben gekommen sein könnte.
Die Auslagerung kann auch in Sachen Datensicherheit zum Boomerang werden, betroffen sind nicht nur Private, sondern auch bundesnahe Betriebe. So beschäftigen die SBB zwar nicht selber Informatiker im Ausland, aber über Partnerfirmen unter anderem in der Slowakei, Ungarn, Rumänien oder Russland. Im letzteren Fall ist das teilweise eine delikate Angelegenheit: «Zu Kriegsbeginn haben wir als Sofortmassnahme die VPN-Verbindungen zu T-Systems nach Russland gekappt», schreiben die SBB an SonntagsBlick. Gemeint ist damit die geschützte Netzwerkverbindung, mit der zwischen den Ländern kommuniziert wurde.
Experte Schlup will zwar keine Namen nennen, weiss aber von Schweizer Banken, die nun wegen des Ukraine-Kriegs gerade unter Hochdruck Daten und Systeme zusätzlich sichern müssen.