Der Prozess um den gefallenen Ex-Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz (65) verkommt zum Wanderzirkus. Das Gericht mit seinen sieben Angeklagten, Dutzenden Medienschaffenden, Hunderten Aktenordnern und Tausenden Interessierten muss in den kommenden Tagen gleich zweimal umziehen!
Heute und morgen tagt es im grossen Theatersaal des Zürcher Volkshauses. Dort finden normalerweise Konzerte, Musicals oder Comedy-Auftritte statt. Fassungsvermögen: 1200 Sitzplätze – in normalen Zeiten. Allerdings wird der Saal covidbedingt nicht voll ausgelastet sein. Neben Richtern, Anwälten und Angeklagten finden nur gerade 100 Journalistinnen und Besucher Platz.
Medienschaffende kurzfristig ausgeladen
Am Donnerstag geht es dann in den Blauen Saal. Er ist nicht einmal halb so gross! Grund für den Umzug: Der Theatersaal ist von einer russischen Ballettkompanie belegt, diese führt «Schwanensee» und «Dornröschen» auf. Die Ironie an der Geschichte: Raiffeisen-Mitglieder erhalten 25 Prozent Rabatt auf die Tickets.
Wegen des Umzugs wurden akkreditierte Gerichtsjournalistinnen und -journalisten wenige Tage vor Prozessbeginn zuhauf wieder ausgeladen –unter ihnen auch Blick-Reporter. Nur 15 Medienschaffende dürfen live dabei sein. Besucher haben überhaupt keinen Zugang mehr. Am Freitag zieht der Tross dann erneut um, in den Weissen Saal. Dort finden immerhin wieder 25 Journalisten Platz, Besucher müssen weiterhin draussen bleiben.
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Stellt sich die Frage, ob Bezirksgericht und Volkshaus nicht besser hätten planen können, um den zweifachen Umzug zu vermeiden. Gerade in Anbetracht dessen, dass sich das Bezirksgericht den Prozess extra muros 20'000 Franken kosten lässt! «Als im Juni 2021 nach einem geeigneten Saal gesucht wurde, war vieles schon besetzt. Zudem ging man damals nicht von den aktuell immer noch sehr einschränkenden Corona-Massnahmen aus», verteidigt sich das Gericht.
Das Gerichtsgebäude selber – nur einen Katzensprung vom Volkshaus entfernt – kam als Ausweich-Location jedenfalls nicht in Frage. Dort hätten wegen der Abstandsregeln gar keine Medienschaffenden Platz gehabt, heisst es bei den Verantwortlichen. Auch am Reservetag am 9. Februar sowie allfälligen weiteren Daten tagt das Gericht daher wieder im Volkshaus.
Mitangeklagter hat Covid
Denn bereits jetzt zeichnet sich ab: Die Verhandlung wird diese Woche wohl kaum zu einem Abschluss kommen. Staatsanwaltschaft und Verteidiger haben Plädoyers in der Länge von 39 Stunden angekündigt. Es werden lange Tage für Vincenz und Co. Das Gericht tagt open end, Verhandlungen bis spät in den Abend hinein sind möglich.
Sofern der Prozess denn nicht im letzten Moment ins Wasser fällt. Ein Mitangeklagter, Investnet-Mitgründer Andreas Etter (51), verpasst den Prozessstart, weil er sich kurz zuvor mit dem Coronavirus angesteckt hat. Er wird deshalb erst am Reservedatum im Februar angehört. Falls weitere Angeklagte, Richter oder Staatsanwälte in Isolation müssen, könnte das den gesamten Prozess ins Wanken bringen. Das Bezirksgericht hat vorsorglich Ersatzrichter eingeplant. Es will ausserdem um jeden Preis verhindern, dass der Prozess selber zum Super-Spreader-Event wird: Einlass ins Volkshaus erhält nur, wer ein 2G-Zertifikat hat. Es gilt Maskenpflicht.