Wirtschaftspläne unter der Lupe – Blick ordnet mit zwei Experten ein
Harris vs. Trump – wer nützt der Schweiz mehr?

Der Republikaner will Steuererleichterungen für alle, die Demokratin setzt auf einen Geldtopf für bezahlbares Wohnen. Blick analysiert mit Experten einzelne Punkte der «Trumponomics» und der «Kamalanomics». Welche Pläne sind besser?
Publiziert: 03.11.2024 um 13:57 Uhr
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Aktualisiert: 04.11.2024 um 09:09 Uhr
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Die Amerikanerinnen und Amerikaner bestimmen am Dienstag, wer nächstes Jahr ins Weisse Haus einziehen wird.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

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Michael HotzRedaktor Wirtschaft

«It's the Economy, stupid!» Mit diesem Wahlkampf-Slogan – frei übersetzt: «Auf die Wirtschaft kommt es an, Dummkopf» – bodigte der Demokrat Bill Clinton (78) 1992 den damaligen US-Präsidenten George Bush (†94). Obwohl dieser ein Jahr zuvor noch Zustimmungswerte von 90 Prozent hatte.

Das war vor 32 Jahren. Und doch hat der flapsige Spruch weiterhin seine Gültigkeit. Wie es den Menschen wirtschaftlich geht, trägt massgeblich dazu bei, ob Donald Trump (78) oder Kamala Harris (60) die US-Wahl am Dienstag gewinnt. Zudem kann der Slogan von aussen auch als Warnung verstanden werden: Floriert die grösste Volkswirtschaft der Welt, profitieren auch wir. Kränkelt die US-Wirtschaft hingegen, hustet Europa – und somit auch die Schweiz.

Entsprechend können die ökonomischen Programme der beiden Kandidaten grossen Einfluss auf die Schweizer Wirtschaft haben. Blick hat sich die Wirtschaftspläne von Trump und Harris im Detail angeschaut und einer grossen Analyse unterzogen. Johannes von Mandach (30), Ökonom bei Wellershoff & Partners, ordnet die Pläne aus volkswirtschaftlicher Sicht ein. Die möglichen Auswirkungen auf die Schweiz schätzt Rahul Sahgal (47), Chef der Handelskammer Schweiz-USA, ein.

Steuerpolitik

Kamala Harris: Die Tochter von indisch-jamaikanischen Eltern will die Mittelschicht mit verschiedenen Steuererleichterungen stärken und Familien entlasten. Die tieferen Individualsteuern, die Trump 2017 beschlossen hat und im nächsten Jahr auslaufen, will sie für Reiche aber nicht erneuern. Und die Unternehmenssteuer soll von 21 auf bis zu 28 Prozent steigen.

Donald Trump: Der Milliardär will seine Steuererleichterungen von 2017 erneuern – und allenfalls noch ausweiten. Er verspricht weitere Senkungen für alle, also auch für Reiche und Unternehmen. Konkret will Trump die Unternehmenssteuer von 21 Prozent auf 15 Prozent reduzieren und die Schraube bei den Erbschaftssteuern lockern.

Das sagt der Ökonom: Die Steuersenkungen von Trump würden die US-Wirtschaft kurzfristig unterstützen – dank mehr Konsum der Bürger und zusätzlichen Investitionen der Firmen, sagt von Mandach. «Mittel-und langfristig würde aber aufgrund des mit den Steuersenkungen einhergehenden Staatsdefizits das Risiko von hoher Inflation und damit auch höheren Zinsen steigen.» Aus ökonomischer Sicht sei auffallend, dass auch bei Harris die geplanten Steuervergünstigungen die zusätzlich vorgesehenen Steuereinnahmen deutlich übersteigen würden. Jedoch nicht im selben Umfang wie bei Trumps Plänen.

Auswirkungen für die Schweiz: Egal, wer nächste Woche das Rennen machen wird: Der Mann oder die Frau im Weissen Haus werde es schwer haben, die eigenen Pläne bei den Unternehmenssteuern in den beiden Parlamentskammern durchzubringen, urteilt Rahul Sahgal. «Die von Trump angedachte Senkung der Unternehmenssteuer wäre für Schweizer Firmen kurzfristig natürlich attraktiv.» Einen signifikanten Einfluss hätte die Massnahme aber nicht. «Die Schweiz wäre auch dann steuerlich attraktiver als die USA.» Dass eine mögliche US-Präsidentin Harris die Firmensteuern tatsächlich erhöhen könnte, hält er für unrealistisch, weil die Demokraten den Senat kaum gewinnen werden.

Strafzölle

Donald Trump: «America first» ist immer noch Trumps Devise. Entsprechend will er die heimische Industrie und die US-Jobs schützen – mit scharfer Klinge. So droht er mit Importzöllen von 10 bis 20 Prozent für alle Güter aus dem Ausland, auf chinesische Ware sollen gar Zölle von 60 Prozent anfallen.

Kamala Harris: Trumps Pläne für Strafzölle haben bei ihr starke Kritik ausgelöst, jedoch schweben auch der Demokratin protektionistische Massnahmen vor. Wie diese ausfallen sollen, hat sie noch nicht festgelegt. Man kann aber davon ausgehen, dass Harris die Zölle auf chinesische Waren, die die Biden-Regierung implementiert hat, weiterführen wird.

Das sagt der Ökonom: «Durch die Importzölle können im besten Fall gewisse Arbeitsplätze in der heimischen Industrie erhalten werden», urteilt von Mandach. Mit breit angelegten Zöllen sei aber zu erwarten, dass die Preise für die Konsumenten deutlich klettern würden. «Zudem dürften mit der Verlangsamung des Strukturwandels die Einkommen langsamer steigen», ergänzt er. Beide negativen Effekte seien auch beim Plan von Harris für Zölle gegen China zu erwarten. Was in beiden Fällen gilt: Die anderen Länder könnten mit Gegenmassnahmen reagieren und damit das weltwirtschaftliche Wachstum bremsen.

Auswirkungen für die Schweiz: Zölle haben gegenüber einem offenen Handelssystem immer einen bremsenden Effekt auf die Weltwirtschaft – und damit auch aufs hiesige Schaffen. Die generellen Strafzölle von Trump könnten sich aber viel direkter auf die Schweizer Wirtschaft auswirken, so Sahgal. Dass der Republikaner nach seiner Wahl die Drohungen auch in die Realität umsetzen kann, hält der Handelskammer-CEO für sehr schwierig. Denn die Handelspolitik ist Sache des Kongresses. Folgendes Szenario ist seiner Meinung nach theoretisch denkbar: Trump könnte Strafzölle von 10 Prozent für alle einführen, um so Gegengeschäfte zu erzwingen. Das Problem für die Schweiz: Sie erhebt keine Zölle auf Industriegüter. «Die Schweiz wäre entweder nicht im Visier der USA, da sie eben keine Industriezölle erhebt, oder sie hätte eine schlechte Verhandlungsbasis, weil sie Trump nichts anbieten könnte», so Sahgal.

Immobilienmarkt

Kamala Harris: Die Kalifornierin will Erstkäufer von Eigenheimen mit einer Gutschrift von 25’000 Dollar unterstützen. Zudem plant sie, mit einem Geldtopf über 40 Milliarden Dollar die Städte und Kommunen beim Bau von bezahlbarem Wohnraum zu unterstützen. Dadurch sollen drei Millionen neue Eigenheime entstehen.

Donald Trump: Statt mit Subventionen in den Eigenheim-Markt eingreifen, um die Immobilienpreise zu senken, setzt Trump auf eine andere Massnahme für günstigere Wohnungen und Häuser: die Massendeportation von Migranten. Wegen sinkender Nachfrage würden die Preise auf dem Immobilienmarkt fallen, verspricht Trump.

Das sagt der Ökonom: Von Mandach gibt Trump recht, dass sich eine tiefere Migration preismindernd auswirken kann. «Allerdings ist aufgrund der Fiskalpolitik mit anhaltend hohen – unter Umständen gar mit steigenden – Zinsen zu rechnen, weshalb dieser Effekt klein ausfallen dürfte.» Die Pläne von Harris würden kurzfristig die Finanzierung von Immobilien erleichtern und wenigen Begünstigten den Zugang zu günstigem Wohnraum ermöglichen. Nur: «Mittelfristig dürfte dies aber vor allem zu einem Anstieg der Preise führen. Die strukturellen Probleme am Immobilienmarkt lassen sich dadurch nicht lösen», so der Ökonom.

Auswirkungen für die Schweiz: Die Pläne der Demokratin Harris sind aus Schweizer Sicht positiv. «Wenn der Häuserbau, der im regulatorischen Sumpf steckt, liberalisiert wird, wie Harris das plant, ist das eine Chance für Schweizer Firmen. Hierzulande gibt es in der Infrastruktur-Branche starke Firmen, die grosse Teile ihres Umsatzes in den USA erwirtschaften», sagt Sahgal. Trumps angedachte Massendeportation würde dagegen den Fachkräftemangel in den USA befeuern und damit die dortige Wirtschaft schwächen, was für die Schweiz schlecht wäre.

Gesundheitspolitik

Donald Trump: Bei Medicare und den Sozialversicherungen gibt sich Trump handzahm. Er verspricht, in diesen Bereichen keine Sparmassnahmen vorzunehmen. Die Gesundheitskosten will er reduzieren, indem er auf einen Bürokratieabbau und die härtere Verfolgung von Betrugsfällen setzt.

Kamala Harris: Sie hat vor, die Verhandlungsstärke der Regierung beim Aushandeln der Medikamentenpreise mit den Pharmakonzernen zu erhöhen. Zudem will Harris den Selbstbehalt beim Kauf von Medikamenten auf maximal 2000 Dollar pro Jahr für alle Medicare-Versicherten deckeln.

Das sagt der Ökonom: «Die US-Medikamentenpreise sind im internationalen Vergleich hoch», sagt von Mandach. Sowohl die Pläne von Trump als auch jene von Harris könnten sich preismindernd auswirken. Ob dies gelinge, hänge wesentlich vom Geschick der politischen Akteure ab.

Auswirkungen für die Schweiz: Hier erwartet Sahgal auch Einflüsse für unser Land, schliesslich sind Schweizer Pharmafirmen wie Roche oder Novartis in den USA aktiv. Dass die Regierung direkt mit den Pharmariesen über die Medikamentenpreise verhandeln kann, ist Teil von Joe Bidens (81) «Inflation Reduction Act». «Die jetzige Regierung hat diese Massnahmen bisher eher beschränkt genutzt. Ob sich das ändern würde, sollte Harris Präsidentin werden, müsste sich erst noch zeigen.»

Energiepolitik

Kamala Harris: Weg von Gas und Öl – die aktuelle Vizepräsidentin will in der Energiepolitik den Kurs ihres Chefs Biden fortsetzen und klimafreundliche Technologien fördern, etwa das Elektroauto.

Donald Trump: Er baut weiterhin voll aufs Öl und will die Emissionsstandards für Fahrzeuge senken, um so die Benziner wieder attraktiver zu machen. Er verspricht, die Energiekosten zu halbieren, was die Inflation senken soll.

Das sagt der Ökonom: Die Förderung gewisser Energiequellen ist aus Sicht von Mandachs vor allem eine politische Debatte. «Aufgrund des Anteils der USA an der weltweiten Ölproduktion von etwas über 10 Prozent dürfte der Einfluss auf den Ölpreis eher gering sein.»

Auswirkungen für die Schweiz: Laut Sahgal lässt sich nicht wirklich sagen, welche Strategie für die Schweiz unmittelbar besser ist. So sind hierzulande Anlagebauer und Händler von Öl und Gas ansässig, aber auch Unternehmen, die vom US-Fokus auf mehr klimaschonende Energiequellen profitieren. Interessant dabei: Die Förderung von ökologisch nachhaltigen Technologien sind ebenfalls Teil des «Inflation Reduction Act», den Trump grösstenteils nicht eigenhändig rückgängig machen kann. «Gleichzeitig fliessen rund 80 Prozent der Fördergelder in republikanisch regierte Bundesstaaten, weshalb Trump zurückhaltend sein wird», merkt Sahgal an.

Kontrolle über Notenbank

Donald Trump: Er hegt die Absicht, die aktuell unabhängige US-Notenbank Fed unter seine Kontrolle bringen zu wollen. Ihm schwebt vor, dadurch eine stark inflationäre Tiefzinspolitik durchdrücken zu können.

Das sagt der Ökonom: Die beabsichtigte Einflussnahme auf das Fed sollte ernst genommen werden, warnt von Mandach. «Die Einschränkung der Unabhängigkeit der amerikanischen Geldpolitik könnte erhebliche Auswirkungen auf Zinsen und Inflation haben.» Zudem bestehe durch den massiven Anstieg des Staatsdefizits die Gefahr, dass sich die USA am Markt zu höheren Zinsen finanzieren müssten. «Das hätte massive Effekte auf die Bewertung von Anlagen.»

Auswirkungen für die Schweiz: «Dieser Schritt wäre für die Schweiz sicher nicht positiv», stellt Sahgal klar. Die Unabhängigkeit der Fed sei wichtig. Er mutmasst, dass Trump als Präsident so starken Druck auf Notenbankchef Jerome Powell (71) ausüben könnte, dass dieser vor seinem Amtszeitende 2026 zurücktritt.

Preiskontrollen bei Lebensmitteln

Kamala Harris: Sie plant ein Verbot von Wucher bei Lebensmitteln. Dies will Harris mittels Preiskontrollen erreichen. Wie das Verbot konkret aussehen soll, bleibt noch offen. Tiefere Lebensmittelpreise würden jedoch die Inflation drücken.

Das sagt der Ökonom: «Die historische Evidenz spricht klar gegen diese Massnahme», sagt von Mandach. Sie führe zu Verknappung – und «unter Umständen gar zum Entstehen von Schwarzmärkten».

Auswirkungen für die Schweiz: Die Massnahme dürfte keinen direkten Einfluss auf unser Land haben. Trotzdem hat Sahgal eine klare Meinung: «Persönlich finde ich Preiskontrollen überhaupt nicht gut. Sie sind einen starken Eingriff in die Marktwirtschaft.» Legislatorisch bewege sich Harris mit diesem Plan auf «sehr dünnem Eis». Darum vermutet der Experte, der Plan sei blosse Wahlkampf-Rhetorik.

Fazit aus Schweizer Sicht

«Beide Kandidierenden sind wirtschaftlich gesehen für die Schweiz suboptimal», bilanziert Sahgal. Niemand sei deutlich besser. Bei Trump sei positiv, dass er die Bürokratie herunterfahren und die Steuern senken wolle. Demgegenüber stünden seine Pläne für generelle Strafzölle und das zuweilen erratische Auftreten. Harris hingegen stehe für Stabilität und keine Zölle für die EU oder die Schweiz. Auf der negativen Seite seien bei ihr mögliche höhere Unternehmenssteuern und regulatorische Eingriffe zu nennen.

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