Diese Zahlen prägen seit geraumer Zeit die Wirtschaftsberichterstattung in den Schweizer Medien: 13, 6, 2, 8, 4, 526 und 106. Was auf den ersten Blick aussieht wie die Geheimkombination eines Banktresors, sind wichtige Daten und Kennzahlen im Vincenz-Prozess – dem spektakulärsten Wirtschaftsprozess des Jahrzehnts.
Am Mittwoch, dem 13. April, fällt das Urteil gegen Ex-Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz (65), seinen Geschäftspartner und ehemaligen Aduno-CEO Beat Stocker (62) sowie die übrigen Angeklagten.
Ab 8.30 Uhr wird der vorsitzende Richter Sebastian Aeppli (63) im Theatersaal des Volkshauses in Zürich mit der Verlesung des erstinstanzlichen Verdikts beginnen. Sollte Vincenz zu einer unbedingten Gefängnisstrafe verurteilt werden – womit die allerwenigsten Prozessbeobachter rechnen –, dann ist jetzt schon klar: Direkt ins Gefängnis geht er deswegen nicht. Einerseits, weil das in der Schweiz bei solchen Delikten nicht üblich ist, und andererseits, weil das Urteil so oder so an die nächste Instanz weitergezogen wird. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung kann es noch Jahre dauern.
Anklage riskiert viel
Die Staatsanwaltschaft hat für Vincenz und Stocker eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren gefordert. Die Anklage wirft den beiden unter anderem Veruntreuung, ungetreue Geschäftsbesorgung, gewerbsmässigen Betrug und Urkundenfälschung vor. Neben den Spesenexzessen und der «Tour de Strip» geht es um Schattenbeteiligungen, Interessenkonflikte, Verschwörung und Arglist. Die Anklage pokert hoch – und könnte tief fallen.
Es fehlt die sogenannte «Smoking Gun», also das unwiderlegbare Beweisstück für die vorgeworfenen Delikte. Deshalb dürfte eine Verurteilung von Vincenz zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 2 Jahren realistischer sein. Vor allem für die Spesenexzesse, aber auch für den Fall Commtrain. Dieser könnte auch Stocker zum Verhängnis werden. Die übrigen Angeklagten könnten gar mehrheitlich mit Freisprüchen davonkommen. Auch Vincenz hofft auf einen Freispruch, denn nur so hat er überhaupt noch eine Chance, wieder gesellschaftsfähig zu werden. Deshalb zeigte der gefallene Starbanker am letzten Verhandlungstag einen Anflug von Reue.
Schwierige Terminfindung
Der Tag der Reue war der letzte von insgesamt 8 Verhandlungstagen. Erst setzte des Bezirksgericht Zürich zu wenige Prozesstage an, dann war sogar einer zu viel eingeplant. Aus Platzgründen fand die Verhandlung nicht am Bezirksgericht Zürich, sondern im benachbarten Volkshaus statt. Das hatte wiederum Terminkollisionen zur Folge und führte dazu, dass Richter Aeppli mittels Doodle nach möglichen Verhandlungstagen suchen liess.
Neben den Spesen ging es auch um Firmentransaktionen, 4 an der Zahl. Das Problem der Anklage: Nur im Fall Commtrain liess sich eine Beteiligung auch von Vincenz wirklich nachweisen. Diese Transaktion mit Abschluss im Jahr 2007 war der erste der Firmendeals. Deshalb droht der Deal dieser Tage zu verjähren. Und er war gespickt mit Anfängerfehlern, wie ein Prozessbeobachter meint. Bei Commtrain ging es um weniger Geld als bei den anderen Transaktionen, aber hier spricht die Beweislage am ehesten für eine Verurteilung.
Andererseits: Kommt es ausgerechnet im Fall Investnet zu einem Freispruch, könnte es vor allem für Raiffeisen teuer werden, da bis jetzt aufgeschobene Zahlungen von insgesamt 60 Millionen Franken an die Aktionäre – u.a. Vincenz und Stocker – fällig werden könnten.
U-Haft spricht für Verurteilung
Der Fall Vincenz dürfte als einer der umfangreichsten und komplexesten in die Schweizer Wirtschafts- und Rechtsgeschichte eingehen. Insgesamt 12'466 Aktenstücke in 526 Bundesordnern und 49 Kisten mit weiterem Belastungsmaterial hat die Staatsanwaltschaft zusammengetragen. Diese Flut von Indizien in Form von Mails, SMS, Telefonprotokollen und Aktennotizen musste das Gericht seit Prozessbeginn im Januar zwecks Urteilsfindung würdigen.
Strafmildernd könnte sich allenfalls die mediale Aufmerksamkeit auswirken. Noch nie gab es im Vorfeld eines Prozesses eine so umfangreiche Berichterstattung, diese käme sogar einer Vorverurteilung gleich, glauben einige Experten. Andererseits: 106 Tage Untersuchungshaft mussten Vincenz und Stocker erdulden. Der Strafrechtsprofessor Marcel Niggli (61) geht im «Tages-Anzeiger» davon aus, dass alleine diese Dauer gegen einen Freispruch spreche, da ansonsten der Staat entschädigungspflichtig würde.
Verfolgen Sie den Vincenz-Prozess ab 8.30 Uhr live auf Blick.ch