Am Dienstag geht das Verfahren in die letzte Runde
Der Vincenz-Prozess im Schnelldurchlauf

Diese Woche geht der grösste Wirtschaftsprozess des Jahrzehnts in die letzte Runde. Der ehemalige Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz muss sich zusammen mit seinen Mitangeklagten den Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft stellen. Was bisher geschah.
Publiziert: 21.03.2022 um 19:29 Uhr
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Pierin Vincenz verlässt nach Tag acht das Zürcher Volkshaus.
Foto: Philippe Rossier
Fabio Giger und Christian Kolbe

Es ist der grösste Wirtschaftsprozess des letzten Jahrzehnts: Dem ehemaligen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz (65) wird vorgeworfen, sich heimlich an vier Firmen beteiligt zu haben und ihre Arbeitgeber Raiffeisen respektive Aduno (heute: Viseca) verleitet zu haben, dort zu investieren.

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Zudem soll Vincenz Hunderttausende Franken an Spesengeldern unrechtmässig ausgegeben haben. Seit Ende Januar läuft der Prozess rund um Pierin Vincenz. Hier der Überblick, was bisher geschah.

Der erste Prozesstag, 25. Januar

Jahrelang blieb der Ex-Raiffeisen-Banker der Öffentlichkeit fern. Dann, an jenem Morgen im Januar, zeigt sich Vincenz braun gebrannt, gut gelaunt und mit offenen Hemdkragen-Knöpfen vor dem Volkshaus in Zürich.

Vincenz‘ Anwalt Lorenz Erni (71) reicht als Erstes einen Antrag zur Prozessverschiebung ein. Das Gericht lehnt dies ab.

Danach muss Pierin Vincenz dem Gericht zum ersten Mal Rede und Antwort stehen. Da zeigt sich: Der Ex-Raiffeisen-CEO ist pleite! Vincenz kriegt monatlich etwas mehr als 2000 Franken AHV. Dem Mitangeklagten Beat Stocker (61) schuldet er angeblich 6 Millionen. Insgesamt habe er 23 Millionen Schulden.

Ein Tinderdate mit Folgen

Vincenz verteidigt auch seine Stripclub-Besuche in der ganzen Schweiz: «Diese waren geschäftsmässig begründet.» Ob er in den Etablissements auch für anderes bezahlt habe als für Getränke? «Das waren nur Getränke, aber Weinflaschen sind ja auch teuer», sagt er. Die Reisen nach Dubai, Familienferien in London oder Golf-Trips seien nötig gewesen, um Beziehungen mit Bankern zu pflegen.

Ein Abendessen mit einer Tinder-Bekanntschaft im noblen Hotel-Restaurant «Storchen» in Zürich erklärt er so: «Das Tinderdate war ein Bewerbungsgespräch.» Vincenz hält zudem fest: «Ich fühle mich unschuldig.» Er habe nicht das Gefühl, etwas Kriminelles unternommen zu haben und über 20 Jahre nicht unterschieden zwischen Ferien und Geschäft.

Nebst den Spesenexzessen wirft die Staatsanwaltschaft Vincenz und den anderen Beschuldigten «heimliche Beteiligungen» an vier Firmen vor. Auch dies bestreiteten Vincenz und sein Anwalt. Es gilt für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung.

Zweiter Prozesstag, 26. Januar

Alle Augen auf Beat Stocker! Auch dem Kompagnon von Pierin Vincenz wird vorgeworfen, bei einigen Firmendeals auf beiden Seiten des Verhandlungstisches gesessen zu haben.

Bei der Verhandlung dreht sich alles um Zahlungen in Millionenhöhe an Vincenz, vermeintliche Doppelrollen bei Unternehmensakquisitionen und Geschäftsdeals. Stocker stand den Fragen der Richter in überzeugender Manier Red und Antwort.

Die Anklage fordert 6 Jahre Haft für Beat Stocker. Zudem soll er 16 Millionen Franken zurückzahlen. Stocker verteidigt sich: «Ich habe mich nie persönlich bereichert. Der Vorwurf der kriminellen Energie in der Anklageschrift empört mich. (…) Ich bin unschuldig.»

Staatsanwaltschaft mit Mega-Plädoyer

Drei weitere Angeklagte mussten ans Anklagepult treten: Geschäftsmann Stéphane Barbier-Mueller, Immobilien-Tycoon Ferdinand Locher und ein bekannter PR-Berater.

Am Nachmittag verlas die Staatsanwaltschaft ihre Plädoyers. Die Stripclub-Besuche von Vincenz waren in den Augen der Ankläger «klar ein privates Vergnügen», eine veritable «Tour-de-Strip». Er habe nicht bei einer Ausgabe aufzeigen können, dass diese geschäftlich gewesen sein soll. Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel (58) erklärt im Detail, wie die beiden vorgingen und welcher Schaden den Unternehmen dadurch entstanden sein soll.

Dritter Prozesstag, 27. Januar

Die Staatsanwaltschaft setzt ihr Plädoyer fort – und legt E-Mails, Abrechnungen, Notizen von Mitbeschuldigten, zahlreiche Aussagen, Chats und Telefonate der Angeklagten als Beweise vor, gegen deren Herausgabe sich Stocker und Vincenz «mit Händen und Füssen gewehrt» hätten.

Der Fokus ist klar auf die komplexen Beteiligungsstrukturen von Firmen gerichtet, mit denen die Angeklagten viel Geld eingeheimst hätten. Am Ende des Plädoyers stellt die Staatsanwaltschaft die Forderung: Je sechs Jahre Haft für Vincenz und Stocker. «Seine Kollegen vertrauten Pierin Vincenz und das nutzte er für den eigenen finanziellen Vorteil aus», so die Ankläger.

Die Anwälte der Kreditkarten-Firma Viseca und der Raiffeisen äusserten sich zum Fall. Beide Unternehmen sind in der Rolle als Privatklägerinnen vor Gericht. Der Anwalt von Raiffeisen sagt, er «schliesst sich dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft vollends an.» Unter anderem äusserte er sich auch zu den Stripclub-Besuchen. Diese seien bei der Raiffeisen «nicht üblich».

Vierter Prozesstag, 28. Januar

Bühne frei für Vincenz’ Verteidiger Lorenz Erni – ein Meister seines Fachs, wenn's ums Plädoyer geht. Er will das Bild eines Mannes schaffen, der für die Schweizer Wirtschaft ungemein viele Erfolge erreicht hat. «Erfolg schafft Neider», sagt Erni.

Er versucht, die Anklage in ihren einzelnen Punkten zu zerstören, verurteilt einzelne Punkte als «Sammelsurium falscher Interpretationen». Erni gibt sich alle Mühe, die Staatsanwaltschaft als Organisation darzustellen, die einen verzweifelten Versuch unternimmt, Vincenz als Kriminellen darzustellen, sich dabei jedoch übernimmt.

Ein Märchen aufgetischt

Letztlich gibt Erni aber gewisse Fehler bei den Spesen-Exzessen seines Mandanten zu. Er argumentierte hauptsächlich, was sein Mandant machte, könne je nach Interpretation als anrüchig, aber sicher nicht als strafbar bezeichnet werden. Er verlangt darum, Vincenz vollumfänglich freizusprechen.

Andreas Blattmann, Verteidiger von Beat Stocker, knüpfte an Ernis Verteidigung an. Er sagt, die Staatsanwaltschaft habe ein Märchen aufgetischt. Bevor er sein Plädoyer schliessen konnte, wurde die Verhandlung unterbrochen.

Fünfter Prozesstag, 9. Februar

Investnet-Gründer Andreas Etter muss ans Rednerpult. Er hatte in der ersten Prozesswoche wegen einer Corona-Erkrankung gefehlt. Investnet ist der grösste Brocken der Unternehmensdeals im gesamten Vincenz-Prozess. Der Deal hatte einen Wert von rund 100 Millionen Franken. Die Anklage wirft Pierin Vincenz und Beat Stocker vor, heimlich an Investnet beteiligt gewesen zu sein. Etter soll bei der Schattenbeteiligung geholfen haben.

«Etter fährt Staatsanwaltschaft massiv an den Karren»
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Blick-Reporter am Prozess:«Etter fährt Staatsanwaltschaft massiv an den Karren»

Es folgen Ausführungen von Etters Anwalt, Antworten des Raiffeisen-Vertreters. Der Tag ist geprägt von juristischem Geplänkel – für Laien schwierig verständlich, für die Beteiligten lange auszusitzen, für den Prozessausgang aber von wohl grösserer Wichtigkeit.

Stockers Verteidiger spricht länger als jener von Vincenz. Die Staatsanwaltschaft bezeichnet Stocker als «Hirn», der das angelastete Doppelspiel von Vincenz und ihm selber zulasten von Raiffeisen und Aduno perfektioniert habe. Stockers Frei- oder Schuldspruch dürfte das Schicksal der anderen Angeklagten am meisten beeinflussen. Einschliesslich dasjenige von Pierin Vincenz.

Sechster Prozesstag, 8. März

Pierin Vincenz schwänzt den Prozesstag. Auch sein Verteidiger Lorenz Erni, ist nicht vor Ort. Der ganze Morgen vergeht mit einem Plädoyer des Verteidigers von Peter Wüst. Dieser hatte beim Fall Investnet, dem grössten Brocken des Prozesses, die Finger im Spiel. Wüst leidet laut der «NZZ» an Demenz und ist nicht verhandlungsfähig. Die Staatsanwaltschaft verzichtet bei Wüst daher auch auf eine Strafforderung.

«Gericht muss bald ein Urteil fällen, die Zeit drängt!»
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Tag 6 im Vincenz-Prozess:«Gericht muss bald ein Urteil fällen, die Zeit drängt!»

Die Verteidiger der Angeklagten Peter Wüst und Andreas Etter referieren lang, teils sehr technisch, teils wiederholen sich die Argumente. Star-Anwalt Peter Nobel macht vor Gericht Gründe geltend, weshalb die Raiffeisen keinen Schadensersatz gegenüber Etter oder Wüst geltend machen könne.

Siebter Prozesstag, 9. März

Wieder fehlt Pierin Vincenz. Dabei könnte Vincenz ja auch ohne Anwalt den Prozess verfolgen. Es sieht fast danach aus, als ob der Verlauf des Prozesses Vincenz nicht mehr wirklich interessiert. Schon an früheren Verhandlungstagen schenkte der Ex-Raiffeisen-Boss ab und zu lieber seinem Handy mehr Aufmerksamkeit als den diversen Ausführungen vor Gericht.

Verteidigung und Anklage kämpfen gegenseitig vor Gericht. Das Schlusswort der Staatsanwaltschaft: Der Fall sei im Kern einfach. Die Beschuldigten hätten mehrere Hüte angehabt, sassen auf beiden Seiten des Verhandlungstisches. Damit hätten sie sich heimlich bereichert, auf Kosten der Arbeitgeber.

Die Anwälte der Raiffeisen und von Aduno kommen nochmals zu Wort. Sie unterstützen die Ausführungen von Chefankläger Marc Jean-Richard-dit-Bressel. Vincenz und Stocker hätten hauptsächlich den eigenen «Gaunerlohn» im Kopf gehabt, heisst es vonseiten der Raiffeisen.

So geht es weiter:

Diese Woche sind zwei Verhandlungstage eingeplant, Dienstag und Mittwoch. Möglicherweise reicht sogar einer. Noch ist unklar, wann es zur Urteilseröffnung kommt, viel Zeit hat das Gericht dafür allerdings nicht mehr, da Anfang April der erste Fall (Commtrain) zu verjähren droht.

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