Am Vormittag hatte die Anklage noch geschwänzt, am Nachmittag bot die Staatsanwaltschaft den Plädoyers der Verteidiger Paroli – und zwar sehr souverän. Wobei, geschwänzt haben ja auch andere. Pierin Vincenz (65) glänzte gestern ebenfalls durch Abwesenheit. Das kam nicht bei allen Prozessbeteiligten gut an. Denn er hätte ja auch ohne Begleitung durch seinen Anwalt Lorenz Erni (71) am Prozess teilnehmen können.
Weshalb Erni – wie schon lange angekündigt – in den letzten beiden Tagen keine Zeit hatte, um am Wirtschaftsprozess des Jahrzehnts teilzunehmen, ist nicht ganz klar. Offenbar war er im Tessin engagiert. Gut unterrichtete Kreise sprechen von einem wichtigen Prozesstermin in Lugano.
Pure «Verzweiflungstat»
Die Anklage hat ihre Replik – so heisst in der juristischen Fachsprache die Reaktion auf die Ausführungen und Vorwürfe der Gegenparteien – dramaturgisch geschickt inszeniert. Thomas Candrian wirft der Verteidigung zunächst «Stimmungsmache», «Schattenboxen» oder «Aktenverdrehung» vor. Starke Worte, die Chefankläger Marc Jean-Richard-dit-Bressel (58) geschickt aufnimmt. Gerade der Umstand der Aktenverdrehung sei eine pure «Verzweiflungstat».
Dies zeige sich, so der Chefankläger, etwa in der «Etikettierung der Darlehen». Echte Darlehen bräuchten kein Etikett. Gerade im Fall Investnet werde klar, dass es sich bei diesen Zahlungsströmen eben nicht um Darlehen im eigentlichen Sinne handle, sondern um die Verteilung von Gewinnen aus «Schattenbeteiligungen». Diese Gewinne allerdings hätten gegenüber den Arbeit- und Auftraggeberinnen Aduno und Raiffeisen offengelegt werden müssen.
Es eilt mit den Honorarnoten
Oliver Labhart fasst die Argumentation der Anklage nochmals zusammen. «Der vorliegende Fall ist im Kern einfach. Eine beispiellose Kette an erdrückenden Beweisen zeigt: Die Beschuldigten Stocker und Vincenz hatten mehrere Hüte an, sassen an beiden Seiten des Verhandlungstisches», so der Staatsanwalt. Die beiden Hauptangeklagten hätten so Millionen abkassieren wollen.
In zwei Wochen sind zwei weitere Verhandlungstage geplant. Angesichts der Fülle des Materials und der Beschuldigten ist der 22. März mit Repliken, Dupliken und Schlussworten gut ausgefüllt. Ob auch der 23. März gebraucht wird, ist offen.
Dann aber könnte es schnell gehen. Als ein Verteidiger vom Richter wissen wollte, bis wann er denn seine Honorarnote einreichen müsse, meinte dieser: «Bis zum 28. März.» Wenig Zeit für eine lange und teure Abrechnung. Prozessbeobachter werten das als Zeichen dafür, dass die mündliche Urteilseröffnung bereits wenige Tage nach Prozessende erfolgen könnte.