«Mich hat überrascht, dass Vincenz permanent klamm ist»
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Blick-Reporter zum Prozess:«Überrascht, dass Vincenz permanent klamm ist»

U-Haft traf Pierin Vincenz völlig unerwartet
Die brisantesten Aussagen der Abhörprotokolle

2018 musste Pierin Vincenz in Untersuchungshaft. Kurz davor beschäftigte er sich noch mit dem nächsten Urlaub und der Frage, wie er aus seiner umstrittenen Firmenbeteiligung zu Geld kommt. Probleme mit dem Staatsanwalt erwartete er nicht, wie Telefonprotokolle zeigen.
Publiziert: 06.02.2022 um 02:10 Uhr
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Aktualisiert: 06.02.2022 um 10:09 Uhr
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Für Reisen für sich und seine Ex-Frau Nadja Ceregato hat Vincenz offenbar ordentlich in die Spesenkasse gegriffen.
Foto: Sobli
Thomas Schlittler

Der Strafprozess gegen Pierin Vincenz (65) und dessen ehemaligen Berater Beat Stocker (61) hielt vergangene Woche die Schweiz in Atem. Jede Wortmeldung im Zürcher Volkshaus, das zum Gerichtssaal umfunktioniert worden war, wurde getickert. Am Mittwoch geht das Verfahren weiter, im März stehen drei weitere Verhandlungstage an.

Vincenz rechnete nicht mit U-Haft

Dass es je so weit kommen könnte, haben Vincenz und Stocker nicht kommen sehen. Noch im Februar 2018, wenige Tage bevor sie in U-Haft gesteckt wurden, gingen die beiden davon aus, dass sie mit ein paar unangenehmen Fragen bezüglich Corporate Governance davonkommen würden.

Dass die Kreditkartenfirma Aduno längst Strafanzeige wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung eingereicht hatte, ahnten sie nicht. Noch viel weniger, dass die Zürcher Staatsanwaltschaft als Folge davon ihre Handys überwachen liess. Das zeigen die Protokolle der Abhöraktion, die SonntagsBlick vorliegen.

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Wahrscheinlichkeit «weit unter 50 Prozent»

In einem Telefonat vom 11. Februar 2018 kamen Vincenz und Stocker auf die Möglichkeit zu sprechen, dass Aduno «das Dossier» dem Staatsanwalt übergeben könnte. Stocker meinte dazu, dass diese Wahrscheinlichkeit «weit unter 50 Prozent» liege. Das sei schon klar wegen des «Aufwands und der Verantwortung und der Laune von diesen Heinis».

Vincenz hatte leichte Zweifel. Er erwiderte, dass er «ein bisschen Angst» habe, dass der Anwalt der Aduno «Schub geben» könnte. Doch Stocker beruhigte ihn mit dem Argument, dass sich kein Staatsanwalt finden lasse, der sich der Sache annehme. Die Staatsanwaltschaft würde sich vielmehr fragen, ob sie bei der Sache «einen Pokal gewinnen» könne oder nicht viel eher «eins aufs Dach» bekomme.

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Stocker beruhigte Vincenz

Des Weiteren hätte bei einer Untersuchung auch der Verwaltungsrat der Aduno ein Problem, so die Überlegung von Stocker. Schliesslich würde der Staatsanwalt dann auch «ganz andere Fragen» stellen. Zum Beispiel, was denn der Verwaltungsrat gewusst habe. Auch aus «Businesssicht» hält Stocker eine Strafanzeige für unrealistisch: «Die hätten ja ein huere Chaos, die armen Siechen.»

Vincenz scheint überzeugt, er wechselt das Thema. Tags darauf ärgert er sich jedoch im Gespräch mit seinem Kommunikationsberater, dass sich bei Aduno alle «u huere verdeckt» halten würden. Er habe versucht, den Präsidenten anzurufen. Dieser habe aber nur zurückgeschrieben, sie hätten eine unabhängige Untersuchung eröffnet.

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Vincenz plante Ferien

Unmittelbare Gefahr wittert Vincenz aber offenbar nicht. Stattdessen kümmert er sich um seine nächsten Ferien. Am 12. Februar 2018 ruft er bei Kuoni an und sagt, dass er im März gerne in die Karibik möchte. Ein paar Tage später ist die Reise fix, und Vincenz erzählt seiner Tochter, dass er am 3. März abfliegen werde.

Für Börsengeschäfte findet der Topbanker ebenfalls noch Zeit. Am 14. Februar 2018 gibt er seiner Beraterin bei der Liechtensteiner Privatbank LGT den Auftrag, Put-Optionen auf ABB und Swatch zu kaufen.

Investnet beschäftigt den Banker am meisten

Selbst mit der Steuererklärung schlägt er sich noch herum. Am 16. Februar 2018 schreibt er ein SMS an Andreas Etter, Mitgründer der Private-Equity-Gesellschaft Investnet: «Noch eine Frage: Kennst du den Steuerwert der Investnet Aktien per 31.12.16 ? Lg Pierin».

Investnet ist das Thema, das Vincenz und Stocker in den Tagen vor ihrer Verhaftung auch sonst mit Abstand am meisten beschäftigt.

Vincenz war seit seinem Abgang als Raiffeisen-CEO mit 15 Prozent an der Investment-Firma beteiligt und Präsident des Verwaltungsrats. Spätestens im Herbst 2017 waren er und seine Beteiligung für Investnet aber zum Risiko geworden. Der Grund: Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) hatte sowohl gegen Vincenz als auch gegen Raiffeisen, die ebenfalls an Investnet beteiligt war, eine Untersuchung wegen Corporate-Governance-Fragen eingeleitet.

Investnet wollte Vincenz loswerden

Die Investnet-Gründer Peter Wüst und Andreas Etter wollen Vincenz deshalb so rasch wie möglich loswerden. Sie offerieren Vincenz zehn Millionen Franken für dessen Firmenanteile. Dieser empfindet dieses Angebot jedoch als «eine Frechheit» – er will deutlich mehr.

Eine Einigung finden sie nicht. Vincenz sieht sich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch immer als Teil von Investnet. Als hätte er nichts zu befürchten, arbeitet er an der Zukunft der Firma und versucht neue Investoren zu gewinnen. Einer der Interessenten: Stadler-Rail Patron Peter Spuhler.

Vincenz wollte Spuhler als Investor gewinnen

Vincenz und Spuhler kennen sich aus gemeinsamen HSG-Zeiten und sind befreundet. Am 16. Februar 2018 schreibt Vincenz in einem SMS an Etter und Wüst: «Ich hatte heute ein Gespräch mit Peter Spuhler. Er ist interessiert, bei Investnet mitzumachen und zu investieren. Ich werde den Termin koordinieren.»

Dazu kommt es nie. Am 27. Februar 2018 fährt vor Vincenz’ Villa die Polizei vor. Er und sein Geschäftspartner Beat Stocker kommen in Untersuchungshaft – für 106 Tage.

Gerichtsverhandlung läuft

Jetzt, knapp vier Jahre später, stehen sie vor Gericht und müssen sich wegen Betrugsvorwürfen verantworten.

Die Ermittler sehen die abgehörten Gespräche als Beleg dafür, dass sich Vincenz bereits vor seinem Abgang als Raiffeisen-Chef heimlich – und via Beat Stocker – an Investnet beteiligt hatte.

Welche Beweise liefert ein Telefonat?

Vor Gericht verwies die Staatsanwaltschaft insbesondere auf ein Telefonat vom 21. Februar 2018, in dem Stocker Vincenz’ Schattenbeteiligung explizit als gemeinsame Sache darlegt: «Wir haben in der Tranche eins (...) 5,9 Millionen bekommen. (...) In der Tranche zwei haben wir 6,6 Millionen bekommen. (...) Bis jetzt sind 12,5 Millionen an mich geflossen. (...) Davon sind an dich geflossen: 2,9 Millionen von der Tranche eins ... die berühmten ... plus 0,8. Das sind die verschiedenen Darlehen plus Rechnungen von Peter. 3,7 Millionen von diesen 12,5 sind an dich geflossen. Das heisst, bei mir bleiben 8,8 Millionen. Heute sind wir also: 8,8 Beat, 3,7 Pierin. Das heisst: Du – in einer Fifty-fifty-Betrachtung – hast (...) mehr zugute.»

Die Verteidigung ist der Meinung, dass dieses Gespräch überhaupt nichts beweise. «Wenn von ‹fifty-fifty› etc. die Rede ist, dann ist ausschliesslich die bereits mehrfach besprochene Darlehensbeziehung zwischen den Herren Vincenz und Stocker gemeint», so Vincenz’ Anwalt in seinem Plädoyer.

Welcher Argumentation das Gericht folgt, wird sich zeigen. Pierin Vincenz und Beat Stocker waren für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Für sie gilt wie für alle Beschuldigten die Unschuldsvermutung.

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