Pierin Vincenz (65) kennt fast zwei Dutzend Schweizer Stripclubs – von innen. In seiner Zeit als Raiffeisen-Boss liess er es sich bei über 100 Cabaret-Besuchen in der ganzen Schweiz gut gehen. Auf seiner «Tour de Strip» verlochte Vincenz fast 200'000 Franken – auf Kosten der Spesenkasse der Raiffeisen. Dafür muss sich Vincenz unter anderem jetzt vor Gericht verantworten.
Vincenz' Lieblingslokal war der King's Club in der alten Börse in Zürich. Ganze 91'000 Franken liess er da laut Anklageschrift auf Bankkosten liegen.
«Banker oder Buschauffeur war uns egal»
Der hemdsärmlige Bündner sass auch mindestens drei Mal auf dem Ledersofa im Red Lips. Renata Angehrn (65) führte das Striplokal bis vor vier Jahren. «Es war eine wunderbare Zeit», erinnert sich die Ex-Frau von Boxlegende Stefan Angehrn. «Die Tänzerinnen studierten ihre eigenen Choreografien ein, sie schminkten sich schön und trugen teure Kostüme.»
Unter ihren Kunden fanden sich Männer jeden Alters und jeder Abstammung. Das Klischee vom Banker im Stripclub? «Das interessierte uns nie», sagt Angehrn. «Die Mädchen tanzten genau gleich für Banker oder Buschauffeure, das kam nicht drauf an.»
Im Red Lips gab es nur Champagner
Cabaret-Gäste seien insofern eigentlich alle gleich: «Sie wollen sich gut aufgehoben fühlen, von schönen Frauen beachtet werden und einen lustigen Abend verbringen», sagt die ehemalige Stripclub-Chefin.
An einem dieser lustigen Abende verpulverte der Ex-Raiffeisen-Boss im Red Lips laut Anklageschrift über 5500 Franken. Am ersten Verhandlungstag waren Vincenz' Spesenexesse vor Gericht ein Thema. Auf die hohen Rechnungen angesprochen, sagte er: «Das waren nur Getränke, aber Weinflaschen sind ja auch teuer. Wir waren eher Weintrinker.»
Wein im Stripclub? «Bei uns hat es nur Champagner gegeben», erinnert sich Angehrn. Das hätten viele Stripclubs so gemacht. So mussten die Tänzerinnen kein Durcheinander trinken und «waren nicht so schnell betrunken». Die Flasche, so Angehrn weiter, habe im Schnitt 400 Franken gekostet.
«Rasch auf anderes fokussiert»
Flûtes und Füdli gehörten offenbar zur Pflege der Geschäftsbeziehungen. Laut Vincenz' Verteidiger Lorenz Erni (71) sei es üblich, nach einem anstrengenden Verhandlungstag auch in Nachtclubs einzuladen. Man könne auch in einer Bar Geschäfte tätigen.
Ob Vincenz' Spesen für die Stripclubs strafrechtlich relevant sind, ist Sache des Gerichts. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Renata Angehrn kann sich kaum vorstellen, dass sich Männer bei Cabaret-Besuchen lange um Geschäftliches unterhalten können: «Tanzen drei, vier schöne Frauen vor einem, ist man relativ rasch auf anderes fokussiert.»