Am Mittwoch geht es im Vincenz-Prozess am fünften Verhandlungstag vor dem Zürcher Bezirksgericht nochmals um richtig viel Geld: um 100 Millionen Franken genau! So viel Geld steht im Investnet-Deal auf dem Spiel – der grössten und teuersten aller Firmentransaktionen im Wirtschaftsprozess des Jahrzehnts. Dieser Deal betrifft vor allem die Raiffeisen, die die KMU-Finanziererin mit einer Tochterfirma der Bank fusioniert hatte. Bei allen anderen Transaktionen war die Kreditkartenfirma Aduno laut Anklage die Geschädigte.
Auch im Fall Investnet sollen gemäss Staatsanwaltschaft die beiden Hauptangeklagten Pierin Vincenz (65) und Beat Stocker (61) über eine sogenannte Schattenbeteiligung vom Deal profitiert haben. Licht ins Dunkel dieser Transaktion könnten die Antworten des Mitangeklagten und Investnet-Mitgründers Andreas Etter (51) bringen. Er muss sich nun den Fragen des Gerichts stellen, da er vor zwei Wochen coronabedingt nicht anwesend war.
Raiffeisen hat nicht alles bezahlt
Peter Wüst (68), ebenfalls Mitgründer von Investnet, wird hingegen weiter fehlen. Er leidet an einer unheilbaren Erkrankung und ist nicht vernehmungsfähig – laut «NZZ» soll es sich um Demenz handeln. Die Staatsanwaltschaft verzichtet bei Wüst deshalb auch auf eine Strafforderung.
Von den 100 Millionen Franken, die der Deal eigentlich wert wäre, hat Raiffeisen erst 40 Millionen Franken an die beiden Firmengründer überwiesen. 5,8 Millionen Franken flossen von den Gründern in die Taschen von Beat Stocker (61). Dieser zahlte an Pierin Vincenz (65) 2,9 Millionen Franken, angeblich als Darlehen für den Kauf eines Hauses im Tessin. Die Zahlung späterer Tranchen – insgesamt 60 Millionen Franken – verweigerte Käuferin Raiffeisen mit dem Hinweis auf Ungereimtheiten.
Käme es zu einer Verurteilung, würde es nur schon im Fall Investnet für Vincenz und Stocker richtig teuer: Die Staatsanwaltschaft beantragt, dass der Bündner 3,7 Millionen Franken zurückzahlen müsste, der Berner Stocker gar 9 Millionen Franken. Umgekehrt könnte ein Freispruch zu einem Geldsegen für die Angeklagten führen. Denn möglicherweise müsste dann Raiffeisen die restlichen 60 Millionen für die Anteile an Investnet überweisen.
Schockierende Argumente
Am Mittwoch wird zudem Andreas Blattmann, der Verteidiger von Beat Stocker, sein Plädoyer fortsetzen. Wie schon sein Mandant hatte er sich am letzten Verhandlungstag über die Argumentation der Anklage sehr echauffiert: «Eigentlich hätte ich eine andere Einleitung geplant, aber die Argumentation der Staatsanwaltschaft hat mich derart schockiert, dass ich eine neue geschrieben habe», so Blattmann. Er forderte «einen vollumfänglichen Freispruch, eine Entschädigung für die Anwaltskosten sowie eine symbolische Entschädigung von einem Franken für entgangene wirtschaftliche Einkünfte».
Überzeugt von seiner Unschuld gibt Stocker Blick am Dienstag einen kleinen Einblick in die Verteidigungsstrategie seines Anwalts: «Die Anklage geht nicht auf. Selbst wenn die interpretierten Fakten so stimmen würden, wären die zwingenden Voraussetzungen für die strafrechtliche These der Anklage gegen mich nicht gegeben», heisst es in dem Mail. «Es geht um sehr viel Geld, und da wird mit harten Bandagen gekämpft.» Er vertraue aber darauf, dass die Fakten und nicht der Skandal ausschlaggebend sein werden für das Urteil des Bezirksgerichts, so Stocker.
Dieses Urteil könnte schon sehr bald nach den vier weiteren Verhandlungstagen im März fallen, ist Wirtschaftsrechtler Peter V. Kunz (57) überzeugt. «Das Gericht fängt ja nicht erst jetzt damit an, die 500 Bundesordner voller Beweismittel zu sichern.» Diese seien für die Urteilsfindung deutlich entscheidender als die Plädoyers selber, glaubt Kunz. Ein Grund für die Eile: Der erste Deal droht bereits im April zu verjähren.