Lorenz Erni (71), Anwalt von Pierin Vincenz (65), nimmt an Tag 4 des Prozesses die Anklage auseinander. Er holt zu einem veritablen Rundumschlag aus, zerpflückt einen Vorwurf nach dem anderen. Er stellt Vincenz als erfolgreichen Geschäftsmann und Banker dar, der die Raiffeisen von der Bauernbank zur systemrelevanten Nummer 3 der Schweiz gemacht hat. «Erfolg schafft Neider», sagt Erni in seinem Plädoyer, das über 5 Stunden dauert.
Pierin Vincenz folgt den Ausführungen seines Anwaltes mit stoischer Ruhe. Wirft ab und an einen Blick auf seinen Laptop. Genehmigt sich einen Schluck Cola Zero. Derweil holt Erni zum Angriff gegen die Staatsanwaltschaft aus. «Die Anklage ist ein Sammelsurium falscher Interpretationen», sagt er. Und: «Ich habe gewisse Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft bis heute nicht verstanden.»
«Vincenz besass kein Geheimkonto»
Alle Vorwürfe gegen Vincenz seien unberechtigt. Erni fordert einen Freispruch in allen Punkten. «Vincenz besass kein Geheimkonto», sagt er. Es geht um ein Konto bei der LGT in Liechtenstein. Erni: «Das ist alles falsch. Das Konto wurde von Beginn weg in der Steuererklärung korrekt erfasst und war dem Raiffeisen-Verwaltungsrat bekannt.»
Und die umstrittenen Firmendeals? Alle Entscheidungen seien in der Geschäftsleitung oder im Verwaltungsrat im Konsens und nach Abstimmung getroffen worden. «Das sind keine Abnickergremien, die Vincenz einfach gefolgt wären.» Dem leitenden Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel (58), der im Weissen Saal des Zürcher Volkshauses direkt neben ihm sitzt, wirft Erni Voreingenommenheit vor.
«Auch Raiffeisen-Verwaltungsrat ging da hin»
Schwerer tut sich Erni, die Spesen-Exzesse von Vincenz zu erklären. «Wir können nicht auf alle Positionen eingehen», sagt er. Dann geht er aber in die Offensive. «Ob man es gut findet oder nicht: Es ist eine Tatsache, dass es üblich war, nach einem anstrengenden Verhandlungstag Geschäftspartner nicht nur zum Nachtessen, sondern auch in Nachtklubs einzuladen», sagt er. Und zum Zürcher «Kings Club», in dem Vincenz regelmässig verkehrte: «Auch der Raiffeisen-Verwaltungsrat ging da nach Sitzungen manchmal hin.» Der sitzt.
Die Verrechnung von Reisen wie jene nach Dubai 2015 mit Kosten von 100'000 Franken könne nicht als unrechtmässige Bereicherung betrachtet werden, sagt Erni. Auch den Dubai-Trip mit zwei Geschäftsfreunden könne man durchaus als geschäftlich betrachten. Man könne das aber auch anders sehen, räumt der Verteidiger ein.
Auch die Reise mit dem Kochclub «Fleur de Tigre» nach Mallorca habe der beruflichen Vernetzung gedient. Der Verwaltungsrat habe solche Aktivitäten des CEO ausdrücklich begrüsst. Vincenz habe das Netzwerken sehr breit verstanden und jede Gelegenheit wahrgenommen, um Kunden für Raiffeisen zu gewinnen, sagt Erni.
Bei weiteren Auslandsreisen gibt Erni zu, dass vielleicht nicht alles optimal lief. Aber im Rahmen des Gesetzes. So seien einige Reisen von Vincenz' Töchtern Raiffeisen belastet worden, andere nicht. Das seien Fehler gewesen.
Freispruch gefordert
Das Gleiche gilt für die berühmt-berüchtigte Krawall-Nacht im Hotel Hyatt. Erni dazu: «Herr Vincenz sah nicht, was auf der Rechnung stand, die Kreditkartenbelastung wurde über seine Assistentin abgehandelt.» Bei so vielen Belastungen sei untergegangen, worum es sich da gehandelt hat. Auch das sei ein Irrtum gewesen. Vincenz werde den Betrag zurückzahlen.
Erni fordert einen «vollumfänglichen Freispruch» für Vincenz. Er soll für seine Anwaltskosten angemessen entschädigt werden. Zudem will Erni eine Genugtuung für die 106 Tage Untersuchungshaft für seinen Mandaten.
Die Staatsanwaltschaft fordert für Vincenz sechs Jahre Haft. Wegen gewerbsmässigem Betrug, Urkundenfälschung, unlauterem Wettbewerb und Veruntreuung. Es gilt die Unschuldsvermutung. Der Prozess wird am 9. Februar fortgesetzt.