Pierin Vincenz (65), der Hauptangeklagte des Wirtschaftsprozesses des Jahrzehnt, fehlt erneut vor Gericht. Dies weil sein Verteidiger, Staranwalt Lorenz Erni (71), Terminkollisionen geltend machte. Er war gestern und heute in Lugano an einem Prozess engagiert. Richter Sebastian Aeppli (63) hat den beiden deshalb eine Dispens erteilt. Vincenz hätte auch alleine nach Zürich reisen können. Das tat er nicht, was längst nicht alle Prozessbeobachter goutieren.
Die Abwesenheit von Vincenz hält die Staatsanwaltschaft aber nicht davon ab, mit allen Mitteln zu versuchen, Boden gut zu machen. Sie wirft der Verteidigung «reine Stimmungsmache» vor, nachdem sie in den letzten Prozesstagen zum Zuhören verdonnert war. Die Verteidigungstaktik ziele lediglich darauf ab, Verwirrung zu stiften. Um dann noch eine Schippe draufzulegen: Die Anwälte der Anklage hätten Fakten aus den Akten verdreht. «Eine dreiste Verzweiflungstat», so der Staatsanwalt. Da hat sich was angestaut.
«Keine Gerichts-Telenovela!»
«Der Fall ist im Kern einfach», sagt der Staatsanwalt. Die Beschuldigten hätten mehrere Hüte angehabt, sassen auf beiden Seiten des Verhandlungstisches. Damit hätten sie sich heimlich bereichert, auf Kosten der Arbeitgeber. «Wer sich heimlich auf Kosten seines Arbeitgebers bereichert, macht sich strafbar. Das gilt für die Kassiererin im Laden. Und das gilt für das Personal von systemrelevante Banken. Auch für den CEO. Wäre das anders, hätte das System versagt», sagt er.
Die Staatsanwaltschaft nimmt Punkt für Punkt der von der Verteidigung vorgebrachten Eingaben durch. Und knöpft sich auch den Verteidiger von Beat Stocker (61) vor. Dieser habe erst zum Prozessbeginn ein wichtiges Dokument vorgelegt, das dessen Mandanten entlasten soll. «Kam es ihm erst jetzt, nach vier Jahren Untersuchung, in den Sinn, nach entlastenden Beweisen zu suchen? Ich bitte Sie, wir sind hier doch nicht in einer Gerichts-Telenovela!» Das sass.
«Majestät Vincenz»
Die Staatsanwaltschaft nimmt den Verteidigern nicht ab, dass Vincenz, Stocker und ihre Geschäftspartner nicht bewusst Verbindungen verheimlicht hätten. «Alle sechs Beschuldigten wussten sehr wohl, dass die Beteiligungen von Vincenz und Stocker ein streng gehütetes Geheimnis war.» In einem Mail sei Vincenz als «seine Majestät» bezeichnet worden.
Vincenz und Stocker müssen sich wegen gewerbsmässigem Betrug, Urkundenfälschung, unlauterem Wettbewerb und Veruntreuung vor Gericht verantworten. Es droht ihnen eine Strafe von sechs Jahren Gefängnis. Es gilt für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung. Am 22. März geht es mit dem Raiffeisen-Prozess weiter. Ob der geplante Verhandlungstag am 23. März benötigt wird, ist noch unklar.