Die Anklage im Fall Vincenz hat ein Problem: Sie muss gegen gewiefte, meist sehr erfolgreiche Geschäftsleute antreten, die mit allen Wassern gewaschen sind. Unternehmer und Manager, die wissen, wie man sich in der Geschäftswelt durchsetzt, auch selbst mal bereit sind, mit harten Bandagen einzusteigen, um den Erfolg zu sichern. Männer, die es gewohnt sind, sicher und selbstbewusst vor Publikum aufzutreten, immer mit dem Ziel, die Gegenseite zu überzeugen – am Verhandlungstisch wie im Gerichtssaal.
Vor allem Beat Stocker (61) – neben Ex-Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz (65) der zweite Hauptangeklagte – vor zwei Wochen und nun Investnet-Mitgründer Andreas Etter (51) konnten überzeugen. Etter hat am Mittwoch, am einzigen Verhandlungstag im Februar, einen beeindruckenden Auftritt hingelegt. Solche Angeklagte sind die beste Waffe der Verteidigung, wohl um einiges effizienter und wirkungsvoller als die stundenlangen Plädoyers der Anwälte.
Von Unschuld überzeugt
Etter ist nicht nur einer der Mitangeklagten, er ist auch einer der wichtigsten Zeugen im Fall Investnet. Die Anklage wirft ihm unter anderem mehrfache Gehilfenschaft zum Betrug vor und fordert eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren sowie die Zahlung von über zwölf Millionen Franken an unrechtmässig erzielten Gewinnen. Etter war in der ersten Prozesswoche abwesend, da er an Corona erkrankt war.
Zu Beginn seines Auftritts macht Etter deutlich, was er von den Forderungen der Anklage hält: nichts! «Ich fühle mich zu 100 Prozent unschuldig, wüsste auch nach vier Jahren nicht, wie ich mich korrekter hätte verhalten können», weist er die Vorwürfe zurück.
Etter wirkt wie ein Buchhalter, der sich präzise und bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma an alle Zahlen und Details erinnern kann. Minutiös präsentiert Etter seine Sicht der Dinge, redet minutenlang ohne Unterbruch, weiss auf jede Frage der Richter eine plausible Antwort, will von geheimen Deals nichts wissen.
Entlastung für Vincenz
Etter verteidigt nicht nur sich, sondern auch den Ex-Raiffeisen-Chef: Vincenz habe schnell reagiert, als sich eine private Beteiligung von Beat Stocker an Investnet abzeichnete – und Stocker das Verhandlungsmandat für Raiffeisen entzogen. Etter schiebt immer wieder ungefragt Details nach, zeichnet ein ganz anderes Bild der Ereignisse als die Staatsanwälte.
Auch stellt Etter in Abrede, dass der CEO bei einer Bank von der Grösse der Raiffeisen überhaupt so viel Macht habe, um im Alleingang ein Geschäft wie den Investnet-Deal durchzudrücken. Immerhin geht es dabei um 100 Millionen Franken. Die Logik dahinter: Hatte Vincenz diese Macht nicht, hätte es auch keinen Sinn gemacht, ihn zu bestechen.
Mutiger Auftritt
Der Höhepunkt der Befragung: eine scharfe Attacke gegen die Staatsanwaltschaft. Etter spricht von einer dünnen Trennlinie zwischen «tendenziöser Strafuntersuchung und Amtsmissbrauch». Die Staatsanwaltschaft aber nur schon in die Nähe von Amtsmissbrauch zu rücken, das braucht doch einiges an Mut. Der «Buchhalter» zeigt am Ende sogar ein wenig Emotionen.
Nicht nur die Materie ist komplex, auch der Terminkalender: Erst im März geht es mit dem Vincenz-Prozess weiter, vier zusätzliche Verhandlungstage sind noch anberaumt.