Beat Stocker (61) ist Geschäftsmann durch und durch – und das seit über drei Jahrzehnten, wie der zweite Hauptangeklagte im Vincenz-Prozess am Mittwochvormittag vor Gericht betonte. Und ein erfolgreicher noch dazu: Sein Vermögen belaufe sich netto auf rund 30 Millionen Franken, gibt er bei der Befragung zu seiner Person an.
Dass Stocker der Kopf hinter all den gemäss Anklage umstrittenen Firmentransaktionen – inklusive der sogenannten «Schattenbeteiligungen» – sein soll, illustriert noch eine andere Zahl: Der ehemalige CEO der Kreditkartenfirma Aduno soll bei den Deals über 16 Millionen Franken an persönlichen Gewinnen eingestrichen haben, Geschäftspartner Pierin Vincenz (65) dagegen lediglich knapp 9 Millionen Franken. Der Mann im Schatten stand am Mittwoch im Rampenlicht, brillierte mit seinem Auftritt.
Stocker ist in seinem Element: Ging es früher darum, Geschäftsideen zu präsentieren und zu verkaufen, so geht es jetzt im Gerichtssaal darum, sich als Unschuldiger anzupreisen. Ein Unterfangen, das ihm optimal gelingt. Stocker antwortet ausführlich und präzise auf die Fragen der Richter, erinnert sich auch an viele Details. Wehrt sich auch mit Vehemenz gegen bestimmte Begriffe, etwa das unter Juristen beliebte Adjektiv «konkludent». Bei diesem Wort sei er vorsichtig, denn «Nein, nein, nein, es gab keine geheimen Absprachen», wie eben das Wort «konkludent» unterstellt.
Etwas Einsicht muss sein
Und die 16'000 Franken an Spesen, die er in Nachtclubs ausgegeben hat? Dafür gebe es gute Gründe, schliesslich seien solche Etablissements sehr lukrative Kunden für eine Kartenherausgeberin wie Aduno.
Wegen seiner Erkrankung an Multipler Sklerose (MS) ist seine Frau zu seiner Unterstützung mehrmals mit ihm nach Lugano geflogen. Die Kosten von rund 2000 Franken verrechnete er Aduno.
Bei den Firmentransaktionen zeigt Stocker etwas Einsicht, vor allem im Fall Commtrain. «Heute bin ich geläutert», erklärt der Unternehmer. Hätte er gewusst, was auf ihn zukomme, hätte er den Verwaltungsrat rückblickend informiert. «Dann hätte ich viel weniger Ärger.»
Schockierter Stocker
Nur um wenig später zu ergänzen: «Aber ich bin immer noch nicht überzeugt, dass das reflexartige unterstellte Risiko eines Interessenkonflikts in der Privatwirtschaft wirklich eintreten muss.» Stocker zeigte sich auch «schockiert» ob all der kriminellen Energie, die ihm die Staatsanwaltschaft unterstelle.
Wirklich Freunde wurden die beiden Hauptangeklagten nie, wie Stocker in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» zu Jahresbeginn erzählte. Doch vor Gericht harmonieren die beiden so unterschiedlichen Geschäftspartner gut, unterstützen sich gegenseitig in ihren Aussagen, tauschen sich am Nachmittag länger aus. Worüber sie geredet haben, ist nicht in Erfahrung zu bringen.
Die Distanziertheit, wie sie noch im Interview durchschimmerte, ist im Gerichtssaal verschwunden.
Der beste Verteidiger von Vincenz
Auch Stocker sagt aus, dass die Zahlungen an Vincenz Darlehen waren – und keine unrechtmässig erzielten Gewinne, wie das die Staatsanwaltschaft behauptet. Als Sicherheit habe Vincenz dafür seine prall gefüllte Pensionskasse geboten. Allerdings: Obwohl Vincenz seit dem letzten Mai Rentner ist, hat er noch keinen einzigen der 6,5 Millionen Franken Schulden an Stocker zurückbezahlt.
Lorenz Erni (71), der Verteidiger von Vincenz, gilt zwar als einer der Besten seines Fachs. Doch seine horrenden Anwaltskosten könnte sich Vincenz eigentlich sparen, denn Ex-Kompagnon Stocker ist sein mit Abstand bester Verteidiger. Kann er das Gericht von seiner Unschuld überzeugen, dann ist auch Vincenz aus dem Schneider. Denn ohne Stocker als Schuldigen bricht das so sorgfältig aufgebaute Deliktgebäude der Staatsanwaltschaft in sich zusammen.
Einer allerdings möchte die neue Harmonie der beiden Angeklagten stören: der leitende Staatswanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel (58). Am Mittwoch hat er schon mal damit begonnen, seine Beweisführung vor dem Gericht darzulegen. Aufzuzeigen, warum die Machenschaften der Angeklagten betrügerisch und zum Schaden von Aduno und Raiffeisen waren. Sein Plädoyer wird der Chefankläger am Donnerstag fortsetzen.