Ganz zum Schluss des Wirtschaftsprozesses des Jahrzehnts zeigt Pierin Vincenz (65) doch noch einen Anflug von Reue, zumindest reicht es für ein öffentlichkeitswirksames Sorry. Der gefallene Starbanker spricht frei und mit leiser Stimme: «Ich bin mir bewusst, dass ich in den 20 Jahren bei Raiffeisen auch Fehler gemacht habe, dass ich manchmal auch übertrieben habe.»
Wobei mit Blick auf Vincenz' Spesenrechnungen zumindest die Anklage glaubt, dass diese Übertreibungen ein gewisses System hatten.
«Aber ich kann Ihnen versichern», fährt Vincenz fort, «ich habe nie etwas mit der Absicht oder mit dem Vorsatz gemacht, Raiffeisen oder Aduno zu schädigen.» Im Gegenteil: Er habe all seine Zeit, sein Herzblut in diese Firmen investiert, um mitzuhelfen, dass sie sich positiv am Markt entwickeln könnten. Er schliesst mit den Worten: «Es ist mir wichtig zu erwähnen, dass ich nichts Unrechtmässiges getan habe. Aus diesen Gründen ersuche ich Sie, sehr geehrtes Gericht, um einen Freispruch.»
Maximalforderung wird kaum erfüllt
Danach setzt er sich wieder an seinen Platz und erduldet mit grimmigem Blick die letzten Minuten des Verfahrens. Beat Stocker (61), der zweite Hauptangeklagte, verzichtet auf sein Schlusswort. Obwohl er in der Pause noch um die richtigen Worte gerungen hatte. Doch in den vergangenen vier Jahren hat sich offenbar zu viel Frust angestaut, um es in ein Schlusswort zu packen. Das hätte den Rahmen des Prozess-Endes deutlich gesprengt.
Jetzt bleiben nach acht Prozesstagen noch die Frage: Wie fällt das Urteil aus? Über den Inhalt des Urteils kann nur spekuliert werden. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren für die beiden Hauptangeklagten Vincenz und Stocker. Mit dieser Maximalforderung wird die Anklage nicht durchdringen, wenn überhaupt dürfte Pierin Vincenz wegen seiner Spesenexzesse zu einer bedingten Strafe von maximal zwei Jahren verurteilt werden. Beat Stocker könnte gar straffrei ausgehen.
Zweifel streuen
Die Staatsanwaltschaft unter Chefankläger Marc Jean-Richard-dit-Bressel (58) hat zwar einen guten Job gemacht, die Ankläger haben mit Akribie die über 500 Bundesordner Akten mit Beweisen und Indizien angelegt, haben die Beschuldigten hart befragt, um ihnen Betrug zum Schaden von Raiffeisen und Aduno nachzuweisen. Ihre Vorwürfe untermauert die Staatsanwaltschaft mit eindrücklichen Plädoyers, sie kämpft sich mehrmals in den Prozess zurück.
Das Problem der Staatsanwaltschaft: Die Verteidiger müssen das Gericht nicht von der Unschuld ihrer Mandanten überzeugen, es reicht, dass sie Zweifel an deren Schuld streuen. Und das tun sie ausgiebig und mit ebenso viel Akribie wie die Ankläger. Es wird mit harten Bandagen gekämpft, die Argumente der Staatsanwaltschaft eins ums andere Mal zerzaust. Besonders der für Betrug notwendige Tatbestand der Arglist hat es schwer, ebenso der erhobene Vorwurf der Verschwörung. Nicht nur einmal ist von einer «Märchenstunde» die Rede, als es darum geht, die Gegenseite zu disqualifizieren.
Urteil fällt in drei Wochen
Klar ist aber nun: Die Urteilsverkündung erfolgt am 13. April um 8.30 Uhr im Theatersaal des Volkshauses Zürich. Das sei weit und breit der einzige noch freie Termin im provisorischen Gerichtssaal. Das heisst: Dieses Mal müssen sich die Parteien richten, gibt es keine Ausflüchte und Entschuldigungen mehr, lassen sich keine Terminkonflikte vorschieben.
Es bleiben dem Gericht also noch rund drei Wochen Zeit, um das in den Plädoyers Gesagte und in den Akten Gelesene rechtlich zu würdigen. Wobei der Fall Commtrain, die erste aus Sicht der Anklage unrechtmässige Firmentransaktion, bereits am 4. April verjährt sein wird. Das heisst, das Gericht wird in diesem Fall noch Anfang April ein Teilurteil fällen müssen. Um so die Verjährungsfrist zu stoppen, reicht eine kurze Aktennotiz, wie mehrere am Verfahren Beteiligte mutmassen.