Nach dem Horror um Hannawald und Co.
Bekommt das Skispringen wieder ein Magersuchts-Problem?

Seit 2004 soll eine Body-Mass-Index-Regel der Magersuchts-Problematik im Skispringen Herr werden. Was lange gut funktionierte, greift heute aber nicht mehr. Simon Ammann warnt: «Die Athleten sind wieder leichter geworden.»
Publiziert: 21.12.2020 um 20:19 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2021 um 09:35 Uhr
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Simon Ammann hat ein ungutes Gefühl. Seiner Meinung nach werden die Skispringer wieder zu leicht. Böse Erinnerungen werden wach.
Foto: keystone-sda.ch
Stefan Meier

Mit Hunger ins Bett? Nein, das muss Simon Ammann nicht. Doch unbedarft drauflosfuttern kann der 39-Jährige auch nicht. Vielleicht sogar noch weniger als früher, als der Toggenburger unter den Skispringern für seinen guten Verbrennungsmotor bekannt war. «Ich muss schon ein bisschen tüfteln, was ich essen darf oder ab und zu wieder einmal eine Diätphase einlegen», sagt Ammann. Die eine Frage begegnet ihm im hohen Skisprungalter immer wieder: «Wie bringe ich die nächsten 300 oder 400 Gramm weg? Das ist der Alltag eines Skispringers.»

Ammann achtet auf gesundes Essen, einen strikten Menüplan, ohne aber Kalorien zu zählen. Und steht immer wieder auf die Waage. «Nicht jeden Tag, aber oft. Man muss wissen, wo man dasteht. Und bei 300 Gramm mehr überlegt man dann schon, was man gemacht hat.»

Simi spricht über das Thema Gewicht, um zu verdeutlichen, mit wie viel Engagement er noch als Spitzensportler dabei ist – in allen Bereichen. Tatsächlich meint er aber auch, einen schlechten Trend im modernen Skispringen zu erkennen.

Der Magerwahn im Skispringen

Bei seinen Worten wähnt man sich automatisch zurück in die 90er und frühen 2000er, als etwa die Schockbilder von Sven Hannawald um die Welt gingen. Der Deutsche war ein Star im Magerwahn. Die Magersucht war ständiges Thema im Skispringen.

Der Weltverband FIS reagierte damals. Um des Problems Herr zu werden, wurde 2004 die Body-Mass-Index-Regel eingeführt, die ständig angepasst wird. Seither müssen die Springer einen mindestwert im BMI erreichen, um die maximale Skilänge springen zu dürfen. Vereinfacht gesagt: Wer zu leicht ist, muss kürzere Ski nehmen. Kürzere Ski bedeuten weniger Fläche, also weniger Weite.

Ammann: «Athleten sind wieder leichter geworden»

Doch diese einfache Rechnung geht nicht mehr auf. Es sei noch nicht in einem dramatischen Bereich, sagt Ammann. Aber: «Das Thema hat wieder angezogen. Die Athleten sind wieder leichter geworden.» Er blickt besorgt auf einige internationale Kollegen, auch Top-Stars seien darunter. Ammann: «Wir haben das auch zum Anlass genommen, um es im Team wieder stärker zu thematisieren.»

Das Problem: Dank der technischen Entwicklung fällt es nicht mehr so sehr ins Gewicht, wenn die Ski kürzer sind. Die Top-Springer wollen darum im Moment die maximale Skilänge gar nicht ausnützen. Lieber nehmen sie kürzere Ski, die einfacher im Handling sind und mehr Aggressivität zulassen. Auch Ammann springt mit kürzeren Ski als früher, kann und muss entsprechend auch beim Gewicht wieder mehr Sorge tragen.

Ammann hat seine Beobachtungen via Athletensprecher Jernej Damjan (Sln) auch bei der FIS eingebracht. Doch so richtig ernst genommen fühlt sich der vierfache Olympiasieger mit seinem Anliegen nicht. Im Bericht habe es einfach geheissen, ein paar ältere Springer seien der Meinung, dass es in die falsche Richtung gehe.

FIS erachtet Problem als noch nicht akut

Der Schweizer Skisprung-Chef Berni Schödler beschwichtigt. Ammanns Bedenken wurden gehört und das Problem erkannt, sagt er. Schödler ist seit dieser Saison auch Koordinator des Continental-Cups bei der FIS und als solcher Teil des Skisprung-Komitees. «Das Thema Gewicht spielt immer eine Rolle», sagt der 49-Jährige. Es seien viele gute Vorschläge für Anpassungen auf dem Tisch, womöglich werde in der Berechnung etwas geändert.

Doch im Gremium wurde auch entschieden, dass die Problematik noch nicht akut sei. Im Jahr vor Olympia habe man deshalb nichts anpassen wollen, erklärt Schödler. Das Thema sei aber deshalb nicht vom Tisch. «Es gilt, wieder eine gute Balance zu finden. Wir wollen die Athleten nicht ermutigen, noch leichter zu werden.»

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