Wenn Justin Murisier und Daniel Yule über Politik diskutieren, sind die Meinungen ähnlich gegensätzlich wie in einer Debatte zwischen dem grünen Nationalrat Balthasar Glättli und SVP-Präsident Marcel Dettling.
«Ich fahre in meiner Freizeit leidenschaftlich gerne Motorrad und glaube nicht daran, dass strombetriebene Fahrzeuge unsere Umwelt retten werden. Daniel denkt dagegen oft wie ein Grüner und macht für Elektroautos Werbung», hat Murisier in einem Blick-Interview vor zwei Jahren erzählt. Der 32-Jährige erinnerte im Nachsatz an den komplett unterschiedlichen Werdegang: «Daniel hat Wirtschaft studiert, ich habe Forstwart gelernt. Er ist ein Kopfmensch, während ich mehr mit meinen Muskeln erledige.»
«Ich konnte kaum noch atmen!»
Trotz dieser Gegensätze sind Murisier und der ein Jahr jüngere Yule beste Freunde. Die beiden Unterwalliser haben im Sommer schon mehrmals zusammen Ferien gemacht. In Orsières haben sich Daniel und Justin eine «Folterkammer» eingerichtet, in der sie gemeinsam Kraft und Ausdauer trainieren.
In den Pausen wird selbstverständlich kontrovers über Gott und die Welt diskutiert. Yule: «Die Diskussionen mit Justin sind wirklich wunderbar. Er erweitert meinen Horizont, umgekehrt bringe ich ihn zum Nachdenken.» Weil Yule im Val Ferret gross geworden ist und Murisier aus dem Val des Bagnes stammt, kennen sie sich schon seit ihrer Kindheit.
Yule hat vor der Abfahrt in Beaver Creek mehrmals gesagt, «dass ich Justin gerne einen von meinen sieben Weltcupsiegen schenken würde. Aufgrund seiner Leidensgeschichte mit drei Kreuzbandrissen hätte er einen solchen Erfolg so sehr verdient.»
Deshalb hat Yule am Freitagabend vor dem Fernseher seinen Emotionen freien Lauf gelassen, als sein Kumpel mit dem ersten Weltcupsieg auf der Birds of Prey endlich den verdienten Lohn erhalten hat. «Nachdem Justin die Führung übernommen hat, war ich zeitweise so nervös, dass ich kaum mehr atmen konnte. Und als er seinen Sieg auf sicher hatte, habe ich vor Glück ein paar Tränen vergossen.»
Rückenschmerzen wegen Brustimplantaten
Was Murisier und Yule ganz besonders verbindet, ist der Humor. Eine besonders witzige Aktion haben die beiden im Frühling 2022 anlässlich eines Plausch-Skirennens abgeliefert, als die beiden als Dragqueens verkleidet an den Start gingen. «Ich hatte schon lange den Wunsch, für einen Tag eine Frau zu sein. Deshalb habe ich mich mit Daniel in einem Frauen-Mode-Geschäft mit der passenden Kleidung und den entsprechenden Accessoires eingedeckt», erzählt unser neuer Abfahrts-Held.
Nach diesem Experiment hat Murisier aber ziemlich gelitten. «Wegen der schweren Brust-Implantate hatte ich nach diesem Slalom ziemlich starke Rückenschmerzen.»
Yule bekommt dagegen noch heute einen Lachkrampf, wenn er an seine Zeit als Frau zurückdenkt: «Unsere Shopping-Tour in Lausanne war so lustig. Als ich das optisch perfekte Frauenkleid entdeckt hatte, habe ich Justin bei der Anprobe gebeten, dass er mir am Rücken den rund dreissig Zentimeter langen Reissverschluss schliesst. Justin hat mir dann klargemacht, dass er höchstens drei Zentimeter schliessen könne.»
Die schlimmste Nacht
Weniger lustig war für Justin und Daniel die Nacht, die die beiden 2013 während eines Trainings-Camps im italienischen Aostatal zusammen verbracht haben. Yule: «Wir haben dort ein Zimmer bezogen, in dem offensichtlich die Heizung nicht funktionierte. Zu allem Übel gab es in diesem ‹Gefrierschrank› nur eine Bettdecke. Weil Justin an diesem Tag etwas Schlechtes gegessen hat und neunzig Prozent der Nacht auf der Toilette verbringen musste, hatte ich die Decke aber meistens für mich alleine.»
Letztendlich waren es aber genau solch abstruse Erlebnisse, welche Justin Murisier und Daniel Yule noch mehr zusammengeschweisst haben.