Andrea Ellenberger (30) ist zurück. Zurück in Are. Hier, in der schwedischen Provinz Jämtland, hat sie vor fünf Jahren WM-Gold im Team-Bewerb gewonnen. Dazu war sie im Riesenslalom mit Rang 10 die beste Schweizerin. Das Problem: Von solchen Erfolgsmeldungen ist die 30-Jährige mittlerweile meilenweit entfernt.
Ihre Weltcup-Resultate des Winters lesen sich wie ein Horrorbuch. Bei acht Riesenslaloms stand sie am Start, Punkte holte sie nie. Die Gründe dafür? «Das Wort Pech wirst du aus meinem Mund nicht hören. Ich bin selbst schuld an meiner Lage», sagt sie.
Ellenbergers Misere begann in Sölden im letzten Oktober. Sie verpasste den zweiten Lauf als 31. denkbar knapp. Ein Ausrutscher – hätte man denken können. Tatsächlich war es der Beginn ihrer Negativspirale. Was danach folgte? Ellenberger verkrampfte sich, flog im Training heftig ab, litt an den Folgen des Sturzes («Wenn ich Sport machte, wurde mir schlecht, ich sah teilweise Sterne»), scheiterte beim Comeback erneut knapp und irgendwann passte auch die Abstimmung des Materials nicht mehr. «Es ist unglaublich viel Schlechtes zusammengekommen», sagt sie.
Mehr zum Skisport
Treppensteigen war eine Qual
In Are hat Ellenberger eine letzte Chance, ihren Winter zu retten. «Ich glaube zu 100 Prozent an eine Wende. Denn ich habe mein Potenzial nicht im Ansatz ausgefüllt. Und vor allem habe ich erstmals seit zehn Jahren keine Schmerzen.»
Was verrückt tönt, ist wahr. Ellenberger erlitt in ihrer Karriere drei Kreuzbandrisse, sie musste einen Rückenwirbel versteifen und eine Bandscheibe herausoperieren lassen. «Damals ging es darum, ob ich überhaupt noch würde laufen können. Nur schon das Treppensteigen war eine Qual. Nur dank des Rückenzentrums Thun kann ich heute sogar wieder beschwerdefrei Spitzensport betreiben», blickt sie zurück.
Sie hat ein Psychologiestudium in der Tasche
Ellenberger hat in ihrem Leben viel durchgemacht – auch der Tod ihres geliebten Vaters Manfred vor eineinhalb Jahren traf sie hart. Doch ans Aufgeben dachte sie nie – auch jetzt nicht. Auffallend: Ihr Kopfsponsor «Chrampfcheibe» passt wie die Faust aufs Auge in ihre Ski-Geschichte. «Andrea ist eine extrem harte Arbeiterin», sagt Rémy Blättler. Er ist Inhaber des Stellenvermittlungs-Unternehmens und kennt Ellenberger seit vielen Jahren – sein Sohn Yannick ging mit ihr zur Schule. «Ich wünsche mir, dass Andrea in Are einen raushaut. Ich weiss, dass sie es kann. Es wäre toll, wenn sich der Knopf lösen würde», so Blättler.
Die Nidwaldnerin wünscht sich nichts sehnlicher. Und was, wenn es nicht klappt? «Dann arbeite ich weiter. Der Rücktritt ist keine Option. Auch im Kopf bin ich absolut parat.» Dazu muss man wissen: Ellenberger hat in der Zeit, als sie keinen Sport ausüben konnte, ein Psychologie-Studium erfolgreich abgeschlossen. «Wenn es einmal mit dem Skifahren fertig sein sollte, habe ich was in der Hand.»
«Was ich durchmache, ist kein Weltuntergang»
Klagen will die Kämpferin aus Hergiswil NW nicht. Im Gegenteil. Sie blickt zu Blättler und sagt: «Was ich durchmache, ist kein Weltuntergang. «Rémy, du bist seit 30 Jahren gesundheitlich eingeschränkt und mittlerweile stark gehbehindert. Aber ich habe dich noch nie jammern gehört – du nimmst dein Schicksal an und machst das Beste daraus.»
Genau das tut auch Ellenberger. Und wer weiss, vielleicht wird sie in Are doch noch dafür belohnt – so wie bei der goldenen WM 2019.