Obwohl Ingemar Stenmark am 10. März 1989 im japanischen Shigakogen sein letztes Weltcuprennen bestritten hat, liefert sich der mittlerweile 67-Jährige seit Wochen ein geschichtsträchtiges Fernduell mit Marco Odermatt.
Der beste Alpin-Rennfahrer der Gegenwart macht Jagd auf die Rekord-Serie, welche der «alte» Schwede zwischen dem 18. März 1978 und dem 21. Januar 1980 realisierte – Stenmark hat in dieser Zeitspanne 14. Weltcup-Riesenslaloms in Folge gewonnen.
Odermatt hat letzten Samstag in Aspen den zwölften Weltcup-Riesen in Serie für sich entschieden. Am 16. März beim finalen GS in Saalbach könnte er bis auf einen Sieg an die Bestmarke herankommen. Nach der Absage des Rennens in Kranjska Gora (Sln) muss der Rekord aber sicher bis zur nächsten Saison warten.
Für Journalisten war er ein Alptraum
Charakterlich gibt es zwischen dem Altmeister aus Nordschweden und dem Überflieger vom Vierwaldstättersee einen riesigen Unterschied. Während Odermatt nahezu jede Reporter-Frage eloquent beantwortet und jeden Autogramm-Wunsch erfüllt, war Stenmark in seiner Blütezeit der Alptraum der Journalisten.
«Ich habe einmal in Adelboden eine Viertelstunde mit Ingemar auf dem Lift verbracht», erinnert sich die österreichische Reporter-Legende Wolfgang Winnheim und hält fest, «dass ich in dieser Zeit alle Fragen gestellt, die mir schon lange unter den Nägeln gebrannt haben. Leider habe ich von ihm nur zwei Antworten erhalten: ‹Es war ein tolles Rennen› und ‹Die Piste war sehr gut›. Das wars. Aber die schwedischen Journalisten haben mir danach versichert, dass ich verhältnismässig viel aus ihrem Superstar herausgeholt hätte. Im Gespräch mit ihnen hätte er immer nur Ja oder Nein gesagt.»
Kernen: «Mit mir hat er viel geredet»
Der Saanenländer Bruno Kernen, welcher 1983 in sensationeller Manier bei der Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel triumphierte, hatte einen besonderen Draht zum eigenwilligen Superstar aus Tärnaby. «Das lag zum einen daran, dass wir beide beim slowenischen Ski-Hersteller Elan unter Vertrag waren. Zudem hatte Ingemar mit seiner damaligen Frau neben dem Appartement in Monaco auch in meiner Nachbarschaft in Schönried BE eine Wohnung», erzählt Kernen.
Und als Nachbar hat die 62-jährige Abfahrts-Legende Kernen den Riesen- und Slalom-König von einer ganz anderen Seite kennengelernt. «So bald er gemerkt hat, dass er einem Menschen vertrauen kann, hat er sich geöffnet. Mit mir hat er viel geredet.»
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Stenmark hat Kernen blind vertraut, obwohl ihn dieser an einem Sommertag um ein Haar abgeschossen hätte. «Elan hat ein Golf-Turnier im slowenischen Bled organisiert, vor diesem Turnier wurden wir mit neuem Equipment ausgerüstet. Vor dem ersten Abschlag habe ich Ingemar noch vor meinem «Slice» gewarnt. Aber weil er meine Worte offensichtlich zu wenig ernst genommen hat, ist einer meiner Bälle haarscharf an seinem Ohr vorbeigeflogen. Aber selbst in dieser brandheissen Situation ist Stenmark ganz cool geblieben.»
Kernen, der seit seinem Karriereende in Schönried ein prächtiges Hotel führt, bekommt dagegen auch heute noch Gänsehaut, wenn er an Stenmarks Ski-Künste zurückdenkt. «In den frühen 80er-Jahren war ich in Madonna die Campiglio unweit vom Start positioniert und durfte hautnah miterleben, wie genial Ingemar die ersten Tore gemeistert hat. Er ist wirklich wie von einem anderen Stern Ski gefahren.»
Böse Unterstellungen von Revolverblättern
Deshalb hält Stenmark bis heute den Rekord bezüglich Weltcup-Einzelsiegen (86, 46 im Riesenslalom, 40 im Slalom). Gelitten hat Stenmark in seiner sportlichen Blütezeit aber unter den räuberischen Geschichten, welche die schwedischen Revolverblätter «Expressen» und «Aftonbladet» über seine erste grosse Liebe Ann Uvhagen veröffentlichten.
Die schwedische Stewardess im Dienst der deutschen Lufthansa wurde als Nymphomanin dargestellt, die parallel zum Ski-Gott auch diverse Flugzeug-Kapitäne verwöhnt haben soll. Kein Wunder, dass der Wikinger zu den Medien bis heute ein sehr distanziertes Verhältnis hat.
Marco Odermatt hatte erst einmal Kontakt mit dem Gesamtweltcupsieger der Saisons 1975/76, 76/77 und 77/78. «Ein gemeinsamer Bekannter hat uns über Facetime miteinander verbunden. Allzu lange hat unser Gespräch aber auch nicht gedauert.»
Druck oder Motivation? Odermatt ist unsicher
Trotzdem dürfte dieser Stenmark Odermatt mit seinen grandiosen Serien noch länger unter Druck setzen. Nach seinem 37. Weltcupsieg hat der dreifache Schweizer Sportler des Jahres zugegeben, «dass ich manchmal froh wäre, wenn es diese Serien und Langzeit-Statistiken gar nicht geben würde. Dann könnte ich auch wieder einmal etwas lockerer ein Rennen bestreiten.»
Doch nach einer kurzen Denkpause dreht Odermatt den Spiess um: «Wahrscheinlich sind es genau solche Zahlen, die mich immer wieder zu Höchstleistungen anstacheln...»