Loïc Meillard (27) hat in der ersten Hälfte dieses Weltcup-Winters regelmässig die pure Verzweiflung ausgestrahlt. Weil beim Walliser mit Neuenburger Wurzeln mehrmals ohne erkennbaren Grund die Bindung aufgesprungen ist, hat der Riesenslalom-Vize-Weltmeister zwischenzeitlich jegliches Vertrauen verloren. Doch seit er in der letzten Januarwoche beim ersten Super-G in Garmisch (D) den dritten Rang herausgefahren hat, kommt der geniale Techniker immer besser in Schwung.
Bei den beiden Riesenslaloms in Aspen musste sich der 27-Jährige lediglich seinem überragenden Teamkollegen Marco Odermatt (26) geschlagen geben. Den zweiten Rang belegt Meillard im US-Nobel-Skiort auch nach dem ersten Slalomlauf. Knapp drei Zehntel beträgt sein Rückstand auf Olympiasieger Clément Noël (26).
Doch im Final gelingt dem grossen Bruder von Technik-Spezialistin Mélanie Meillard (25) der stärkste Slalomlauf seines Lebens – im Ziel ist er 89 Hundertstel schneller als Deutschlands Kitzbühel- und Schladming-Triumphator Linus Strasser (31). Und weil der Franzose Noël einmal mehr Nerven zeigt und einfädelt, darf Meillard tatsächlich seinen dritten Weltcupsieg bejubeln.
Nach einem Triumph im Riesenslalom (Schladming 2023) und dem Erfolg im Parallel-Riesen von Chamonix (F) 2020 steht er nun erstmals im Slalom zuoberst auf dem Podest. «Ich habe in diesem Winter mein Selbstvertrauen innerhalb von zwei Rennen verloren und habe ungefähr zehn Wettkämpfe gebraucht, um es zurückzugewinnen», sagt Meillard, der nach Dumeng Giovanoli, Edmund Bruggmann, Martial Donnet, Peter Lüscher, Pirmin Zurbriggen, Joël Gaspoz, Paul Accola, Didier Plaschy, Marc Berthod, Marc Gini, Daniel Yule und Ramon Zenhäusern erst der 13. Schweizer ist, der einen Weltcup-Slalom gewinnt.
Grosser Weinkenner
Und nach diesem Triumph liegt der Romand im Gesamtweltcup hinter Odermatt und Manuel Feller (31) weiterhin an dritter Stelle. Sein Rückstand auf den Österreicher beträgt nur noch drei Punkte. Bis jetzt hat es bei den Männern noch nie einen Schweizer Doppelsieg im Gesamtweltcup gegeben. Die Chance ist gross, dass Odermatt und Meillard das in den nächsten drei Wochen ändern werden.
Aber wie tickt dieser Loïc Meillard? Sein Team- und Zimmerkollege Marc Rochat (31) bezeichnet ihn als «absolute Maschine». «Während ich am Morgen oft nur schwer in die Gänge komme und mich mit verklebten Augen noch ein paar Mal im Bett hin- und herdrehe, schiesst Meillard um 6 Uhr wie eine Rakete aus den Federn. Loïc ist für uns mit seiner genialen Technik nicht nur ein wichtiger Trainings-Gradmesser, sein Optimismus wirkt sich auch enorm positiv auf die Stimmung in unserem Team aus.»
Meillard, der seit ein paar Jahren mit der Swiss-Ski-Kommunikationsfrau Zoé Chastan liiert ist, ist in unserer Slalom-Equipe auch als grosser Weinkenner bekannt.
Banklehre statt Sportmittelschule
Nachdem er die ersten zehn Jahre seines Lebens im Kanton Neuenburg verbracht hat, siedelte er mit seinen Eltern nach Hérémence in die Region der Staumauer Grande Dixence ins Wallis über. Im Gegensatz zu den meisten anderen Skirennfahrern seiner Generation hat er nie eine Sportmittelschule besucht. Stattdessen absolvierte er eine Banklehre. «Obwohl ich im ersten Lehrjahr in der Berufsschule knapp genügende Noten hatte, forderte die Schulleitung bei meinem Ausbildungsbetrieb, dass ich das Jahr wiederhole. Sie waren der Meinung, dass ein Lehrling, der im ersten Jahr knapp genügen würde, in den folgenden Jahren keine Chance hätte.»
Doch Meillard setzte sich auch hier in seiner einzigartigen Manier durch: «Ich war mir sicher, dass ich die Lehre ohne diese Extrarunde schaffen würde, und zum Glück hat mich mein Lehrmeister in meinem Vorhaben voll unterstützt. Und im Endeffekt habe ich diese Ausbildung ja dann auch in der normalen Zeit mit einer genügenden Note abgeschlossen.»
Für seinen Auftritt beim Aspen-Slalom hat sich Loïc Meillard die Note 6 mit Sternchen verdient.