Ein hautenges Velotrikot? Das ist eine heikle Sache, erkennt man doch jedes Kilo zu viel. Pascal Richard hat diese Sorgen nicht. Auch 30 Jahre nach seinem Gesamtsieg bei der Tour de Suisse macht er auf dem Velo eine bestechende Figur – und das mit 60 Jahren! «Zu meiner Aktivzeit wog ich 66 Kilo. Jetzt sind es 76. Keine Ahnung, wann die zehn Kilo dazugekommen sind», sagt er lachend.
Wir treffen den Romand am Start der letzten Tour-de-Suisse-Etappe. In Aigle VD, beim Sitz des Radweltverbands UCI. Richard weiss, was auf ihn wartet – er hat bei der Anfrage keine Sekunde gezögert. «Wenn ihr wollt, dass ich das Tour-Zeitfahren nach Villars-sur-Ollon VD simuliere, mache ich das gerne.» Wer pro Jahr gut 6000 Kilometer im Sattel verbringt, wird schliesslich auch die 15,7 Kilometer schaffen. «Aber zuerst trinken wir einen Kaffee», sagt Richard.
Enkelkinder halten ihn auf Trab
So soll es sein. Auf der Terrasse des Velodroms beginnt Richard zu erzählen. Es gehe ihm gut, sehr gut sogar. «Das Architekturbüro läuft, ich habe eine tolle Frau und wunderbare Kinder.» Dazu kommen die Enkelkinder Liam (10) und Léo (7) – sie halten «Pépé» (Französisch für Grossvater) auf Trab.
«Zuletzt sass ich am Sonntag daheim auf dem Sofa, schaute gemütlich Fernsehen. Da klingelte es an der Tür. Sie sagten: Pépé, komm, wir gehen Velofahren! Ich antwortete: Es regnet in Strömen! Sie meinten: Na und? Wir hatten viel Spass.» Es sind Erlebnisse, die Richard besonders schätzt.
Dazu muss man wissen: Richard fiel nach seiner Karriere tief. Er vertraute falschen Leuten, verlor 200’000 Franken und flog mit einem Versicherungsbetrug auf. Auch sein Modegeschäft ging Pleite. Dazu kam die Scheidung von seiner damaligen Frau Claudia. «Ich hatte alles verloren», sagt er. Richard dachte gar daran, sich das Leben zu nehmen. «Ich stand auf dem Balkon, wollte springen.» Er tat es nicht – wegen seiner Kinder.
«Die Probleme fliegen davon»
Dann geht es los. Richard schwingt sich auf sein Rennvelo, wird aber von einem roten Lichtsingal gebremst. Dann, nach sechs Kilometern, beginnt die Strasse anzusteigen. Rasch findet der einzige Strassenolympiasieger der Schweiz – 1996 in Atlanta holte Richard Gold – den Rhythmus. «Velofahren ist wie eine Therapie. Gut für den Körper, gut für die Seele. Die Probleme fliegen davon.»
Richard fährt weiter. Erneut muss er absteigen – zuerst wegen einer Bahnschranke, dann aufgrund einer Baustelle. «Puhh, es ist ziemlich schwül. Ich schwitze wie verrückt», ruft er uns zu.
Dann läuft alles wie am Schnürchen. Auf den letzten 200 Metern geht Richard in den Wiegetritt – bis zum Ende. Der Velocomputer zeigt: 52:36 Minuten Fahrzeit, durchschnittliche Geschwindigkeit 18,1 km/h. Bei 865 Höhenmetern sind das nur etwas: stark.
«Ich hatte das Glück, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Irgendwann wurde der Druck aber gross und grösser. Ich wurde bezahlt, um zu fahren. Und, um zu gewinnen. Heute geniesse ich das Velofahen viel mehr», sagt Richard. Man glaubt ihm aufs Wort.