Schnee, so weit das Auge reicht. Gratis-Glacé, das nicht schmilzt. Und ein Wind, der durch Mark und Bein geht. Auf dem Gotthardpass ist immer noch Winter. Die Velo-Fans suchen Zuflucht im Hospiz, wärmen sich mit Tee und Kaffee. Auch Adam Yates (31), der neue Gesamtführende, ist nach dem Rennen mit Wintermütze und Jacke dick eingepackt.
Letztlich ist es Torstein Træen (28), der die Geschichte des Tages schreibt. Der Norweger gewinnt erstmals überhaupt bei den Profis. «Die letzten zwei Jahre waren eine Achterbahnfahrt. Heute sehe ich das Leben anders», sagt er danach.
Warum der Rad-Wikinger sich so äussert? Rückblick: Im Mai 2022 ist Træen mit seinem Teamkollegen von Uno X in der Sierra Nevada (Sp) unterwegs. Ein ganz normales Training steht an. Er erinnert sich: «Wir machten beim Frühstück Witze, dass etwas Schlimmes passieren würde – schliesslich war es Freitag der 13.»
Krebs-Diagnose nach Doping-Test
Tatsächlich erhält Træen nur wenige Stunden später einen Anruf, der sein Leben auf den Kopf stellt. Am Telefon ist Teamarzt Knut Rønning. Dieser berichtet seinem Schützling, dass er bei der Katalonien-Rundfahrt einen positiven Doping-Test abgegeben habe. Træen fällt aus allen Wolken. Tests ergeben, dass er überhöhte Werte eines Sexualhormons hat – aber nicht, weil er eine verbotene Substanz eingenommen hat.
Nein, er hat Hodenkrebs. Dieser verursachte die extremen Blutwerte. Die leichten Schmerzen, welche er davor im Genitalbereich gespürt hatte, sind doch keine Bagatelle. «50 Kilometer vor dem Ziel habe ich heute angefangen, darüber nachzudenken, was in den letzten Jahren war», erzählt Træen nach seinem Triumph.
Dazu gehört der Facharzt, der ihm bei der Bekanntgabe der Diagnose gesagt habe: «Ich werde dafür sorgen, dass du nicht an Krebs stirbst.» Und auch die folgende Operation, bei dem Træen ein Hoden entfernt wird. Und natürlich die erfolgreiche Rückkehr in den Radsport. «Mein Leben war zuletzt eine Achterbahnfahrt», so Træen.
Sandra Mäder überreicht Preis
Vor dieser Saison wechselte Træen zum Team Bahrain. Also zu jener Equipe, für die auch Gino Mäder (1997–2023) zuletzt fuhr. «Dieser Sieg ist auch für ihn. Ich kannte ihn nicht persönlich, aber ich habe nur Gutes von Gino gehört.»
Mäders Mutter Sandra überreicht Træen auf dem Podest den neu geschaffenen Bergpreis zu Ehren ihres bei der letzten Tour verstorbenen Sohnes. Sie sagt: «Torstein hat mir gesagt, dass er unterwegs an Gino gedacht habe – das fand ich sehr schön.»
Zurück zu Træen und dessen Lebensgeschichte. «Ich bin sehr dankbar für das, was ich tue. Denn ich habe gemerkt, dass das Radfahren, so wie das Leben, dir von einem Tag auf den anderen weggenommen werden kann.» Nach der Tour de Suisse wird er sein Blut erneut checken lassen.