Ich war extrem optimistisch für das Portugal-Spiel – und wurde masslos enttäuscht. Und zwar von allem. Und von allen. Weshalb es gar keinen Sinn mehr macht, sich Fragen zu stellen, ob Murat Yakin richtig aufgestellt hat. Ob er die richtige Taktik gewählt hat. Ob dieses oder jenes Tor haltbar war. Wer wann und wo und wie versagt hat.
Wir hätten das Spiel auch mit einer anderen Aufstellung und Taktik verloren. Derart unterlegen war das Team. Und sechs Tore kassieren bedeutet in jedem Fall, dass man mental nicht auf der Höhe war. 0:2, 1:2, 1:3. Alles okay. Aber 1:6? Niemals!
EM-Wunder nur dank französischer Arroganz möglich
So ziehe ich Fazit und stelle ernüchtert fest: Wir haben offenbar eine mentale Limite, die es uns nicht erlaubt, derart über uns hinauszuwachsen, dass wir Top-Leistungen wie gegen Serbien zwei-, dreimal in Folge abliefern können. Natürlich war da dieses Wahnsinns-Spiel gegen Frankreich an der Europameisterschaft. Doch es war das Spiel, das die Regel bestätigt. Leider. Nur dank eines unfassbaren französischen Arroganzanflugs war es möglich, dieses 1:3 noch in ein 3:3 umzuwandeln. Unter normalen Umständen, mit der Seriosität zum Beispiel von Portugal, hat das nicht passieren können.
Niemand mehr unterschätzt die Schweiz
Und wenn es eine spürbare Folge dieses Erfolgs gegen den Weltmeister von 2018 gibt, dann vielleicht diesen: Portugal hat uns restlos für seriös genommen und kein bisschen unterschätzt. Dabei sind wir für einen Exploit gegen einen Grossen mindestens zu einem Teil darauf angewiesen, unterschätzt zu werden.
Serbien kein Energiefresser
Und kommen Sie mir nicht damit, dass die gesamte Energie beim hoch emotionalen 3:2-Sieg gegen Serbien verpufft ist. Solch ein mitreissendes Spiel mit einem für das Team positiven Ende saugt nicht Energie ab, es setzt frei. Die Voraussetzungen für einen Coup gegen Portugal waren in jedem Fall gegeben.
«Wir hätten Platz eins anstreben müssen»
Und doch gibt es zwei Dinge zu bereuen in diesem Turnier: Man muss extrem strategisch denken. Wir hätten gegen Brasilien trotz allem vehementer ein Tor anstreben müssen, um den ersten Gruppenplatz ins Auge fassen zu können. Und dasselbe in der Schlussphase des Serbien-Spieles, als bloss ein Törchen fehlte, um Gruppenerster zu werden. Fakt ist: Alle drei Teams, welche nach zwei Spielen qualifiziert waren und es sich leisten konnten, den Grossteil des Kaders im dritten Match draussen zu lassen, haben ihre Achtelfinals auf grandiose Art und Weise gewonnen: Brasilien, Portugal und Frankreich. Frische ist bei dieser Kadenz der Spiele absolut elementar!
Nun die Jungen aufbauen
Und nun? Wie weiter? Yakin ist nach wie vor der richtige Trainer. Keine Frage. Aber ich bin sicher: Man muss sich nun Gedanken über den einen oder anderen Spieler machen. Mit diesem Out ist eine Ära des Schweizer Fussballs zu Ende gegangen. Vielleicht die erfolgreichste aller Zeiten. Jene mit Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri und Haris Seferovic als Leitfiguren. Nun aber muss man neu anfangen – und am besten ohne diese Spieler. In zwei Jahren steht die EM an. Bis dann hat Yakin Zeit, ein Team mit den Jungen wie Rieder, Jashari, Zakaria, Akanji, aber auch mit Sow und Freuler auf die Beine zu stellen. Fussballer mit viel Hunger. Die sich die Seele aus dem Leib rennen. Und nicht zehn Kilometer weniger laufen als Portugal, was eine unfassbare Zahl ist.
«Yakin ist und bleibt der richtige Trainer»
Und für diesen Neustart kann es nur einen Trainer geben: Murat Yakin. Er ist der perfekte Mann dafür. Es ist eine Aufgabe, für die er wie geschaffen ist. Junge Spieler formen kann er viel besser, als sich mit Stars herumzuschlagen. Stars wie Xhaka und Shaqiri.